Die Freifliegerin Ein Hexenthriller (German Edition)
wärmer
im Kopf und dann auch in den Armen und Beinen und alles war wieder so wie
vorher. Nur ein bisschen zittern musste sie noch.
Ist das vielleicht so wie der
Tod?
Das dort unten?
Am Grund des Sees?
Ganz allein?
Irgendwie wagt sie es nicht,
sich das so real vorzustellen wie die andern Fantasien vorhin. Das war nicht
sehr angenehm damals. Sie hatte ganz schön Angst! Aber natürlich war es nachher
auch lustig, weil alle ihre Freundinnen in der Pause zu ihr gekommen sind und
sie fragten, wie es war, ohnmächtig zu sein.
Na, wie soll´s schon gewesen
sein? Kacke war´s!
Heute Nacht hatte sie übrigens
einen Traum, der ihr immer wieder einfällt, so oft sie an Else oder ans Sterben
denken muss. Deshalb hat sie ihn am Vormittag in ihr Tagebuch geschrieben:
Freitag, 12. Mai
Traum: Ich bin mit der Else an
einem See. Tief ist der See und klar. Wir gehen am Ufer spazieren und trauen
uns nicht laut zu reden, weil es da so schön ist, und weil wir wissen, dass
alles verschwindet, wenn wir zu laut sind. Aber ich kann mich einfach nicht
zurückhalten und fange an zu reden, immer mehr und immer lauter. Die Else
schaut schon so komisch, und da sehe ich es auch schon: Der ganze See hat zu
brodeln angefangen! Das macht uns beiden große Angst, Else noch mehr als mir.
Als der See schon übergeht und das schäumende Wasser aufsteigt, wollen wir
davonlaufen. Ich renne oder fliege gar wie eine Verrückte. Dann schaue ich nach
hinten. Else kommt kaum weiter, weil sie einen ganz engen, langen Rock anhat.
Sie kann nur ganz kleine Schritte machen, wie eine von diesen japanischen
Geishas (schreibt man das so?). Ich schreie noch: Zieh doch den blöden Rock
aus, dann kannst du schneller laufen. Aber auf einmal hat sie das Wasser auch
schon und zieht sie hinunter. Sie winkt mir noch, dann ist sie weg. Ich drehe
mich zur Seite und erschrecke: Neben mir steht auf einmal ein großer Mann, mit
langem, schwarzem Haar und mit einem Tattoo am Arm, so ein Tattoo, wie auch Mama
eines hat. (Ich glaube, den habe ich irgendwo schon einmal in der wirklichen
Welt gesehen.)
Kathi wachte dann auf und es
war drei Uhr früh. Eine Weile fürchtete sie sich, und sie musste das Licht für
ein paar Minuten anschalten, aber bald schon schlief sie wieder ein. Das machen
die Tabletten von Dr. Zöchling. Gott sein Dank!
26
Gravogl hat eine schlimme
Platzwunde am Hinterkopf. Aber er ist schon wieder bei Bewusstsein. Der
Hagazussa haben sie Handschellen angelegt. Sie hat die Hände am Rücken
gefesselt.
Was hast du denn vor, Alois,
mach doch keinen Blödsinn“, sagt der Gravogl.
„Der Hex machen wir den
Prozess“, sagt der Karner Alois mit einer Stimme, die nichts Gutes ahnen lässt.
„Ja leben wir denn noch im
Mittelalter! Ihr macht euch doch alle unglücklich, Sepp, Otto, Fritz, Franz!
Seid doch gescheit!“
Alle hier sind mit dem Gravogl in
die Schule gegangen, nur der Karner nicht, der ist zu jung. Und alle außer dem
Karner schauen sie jetzt weg. Keiner sagt etwas. Aber denken können sie es sich
alle miteinander. Sie waren alle einmal Freunde und Nachbarn. Bei allen war er
am Hof und hat ihr Vieh betreut, dem Rieger Otto seinem Hund hat er das Leben
gerettet, und dem Müller Sepp hat er manchmal gratis eine Kuhbesamung gemacht,
wenn der knapp bei Kasse war. Alle schauen sie jetzt betreten drein.
„Kommt“, sagt der Karner, „wir
müssen jetzt los!“
„Und was ist mit dem Horst?“,
fragt der Müller Sepp und deutet auf Gravogl.
Karner stöhnt auf. Er ist
nervös.
„Was ist mit dem Horst, was ist
mit dem Horst... Mitkommen muss er!“, schreit der Karner dann. „Er hat ja der
Hex geholfen.“
„Lass ihn gehn“, ruft der Sepp.
„Ja,“ sagt jetzt auch der
Kienast Franz. „Lass den Horst nach Hause gehn. Lass ihn in Ruhe!“
„Macht ihr jetzt mit oder
nicht?“, schreit der Karner Alois mit überschlagender Stimme. „Ich schieß ihn
über den Haufen, wenn er nicht gleich aufsteht und weitermacht. Habt ihr denn
nicht mitbekommen, wie viel Unglück uns diese Hexe gebracht hat? Und da soll
sie ungestraft davonkommen? Ich hab meinen Bruder verloren, und die Else, alles
wegen dieser rothaarigen Hexenschlampe. Geht jetzt!“
Sie ziehen los. Auch dem
Gravogl haben sie Handschellen am Rücken angelegt.
Aber keiner versteht mehr so
recht, warum es der Alois so ernst meint mit dieser Sache. Am Anfang waren sie
alle aufgebracht und haben sich an der Hatz beteiligt, aber jetzt meinen die
meisten, dass die Hexe ihre Lektion erhalten
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