Die Frequenz: Thriller (German Edition)
musste lauten: oben.
Wilson griff nach Helenas Hand und rannte erneut mit ihr ins Dunkle. Er hätte gern die Zeit gehabt, seine Lösungsschritte noch einmal durchzugehen, um sicher zu sein, doch Visblat war zu dicht hinter ihnen. Sie waren keine zwanzig Schritte weit gekommen, als plötzlich der Boden unter ihnen wegsackte. Eine Falltür! Sie stürzten in rabenschwarze Dunkelheit.
»Wir müssen miteinander reden!«, rief Visblat und unterdrückte mit Mühe seinen hilflosen Zorn. »Sie müssen sich anhören, was ich Ihnen zu sagen habe!« Er betrat die vierte Entscheidungskammer, doch sie war leer. Als er das Scharren auf dem Sandstein hörte, wusste er, welchen Ausgang sie genommen hatten. Er ging kein Risiko ein, trat zurück und las die Hieroglypheninschrift; dann schaute er über die verräterischen Spuren auf dem sandigen Boden.
Helena und Wilson rannten aus dem runden Schacht in eine gleichfalls erleuchtete Kammer. Während ihres Sturzes hatte Helena eine Vision bekommen, die zweite in den letzten fünf Minuten. Inzwischen konnte sie durch Wilsons Augen blicken und gleichzeitig das eigene Bild wahrnehmen.
Mit heftig pochendem Herzen las Wilson die Schriftzeichen an der Rätselwand.
»Der feste Wille wählt den richtigen Weg«, flüsterte er. Vor ihnen lagen vier nicht bezeichnete, stockfinstere Ausgänge. Den Boden bedeckte bereits eine dünne Sandschicht. Plötzlich wurde Wilson klar, dass Visblat überall ihre Fußspuren vorfand. Zweifellos konnte er ihnen deshalb so mühelos folgen. Ohne ein Wort machte Wilson einen Schuhabdruck und wies Helena stumm darauf hin. Sie begriff sofort, und zu zweit hetzten sie zwischen den Ausgängen hin und her, sodass sich ein Durcheinander von Abdrücken bildete, das hoffentlich nicht zu entschlüsseln war.
Wilson sah noch einmal auf das Rätsel: »›Der feste Wille wählt den richtigen Weg.‹ Theoretisch kann ich hier nichts falsch machen.« Zögerlich zeigte er auf einen der dunklen Ausgänge.
Helena machte ein zweifelndes Gesicht. »Meinen Sie wirklich?«
»Sie haben recht, es ist der da!« Wilson ergriff ihre Hand, und sie sprangen erneut ins Dunkle.
Sowie das Paar die Kammer verlassen hatte, stolperte Visblat hinein und schlitterte über den sandigen Boden. Er verzog wütend das Gesicht, als er die vielen Fußspuren sah. Der Sand strömte in feinen Rinnsalen von der Decke und machte es noch schwerer, Wilsons Weg zu erkennen.
»Allmählich glaube ich, Sie wollen nicht kooperieren!«, brüllte Visblat.
Da ihm nichts anderes übrig blieb, las er die Inschrift. Angesichts der undurchsichtigen Frage bekam er einen trockenen Mund. Er hasste diese dummen Rätsel. Wie sollte er auf eine Lösung kommen?
Er verlegte sich auf die nächstbeste Chance und lauschte still. Irgendwann hörte er einen schwachen Laut aus einem der Gänge. Ein erleichtertes Lächeln legte sich auf seine Lippen.
»Meine Männer hätten Sie töten können!«, brüllte Visblat. »Dass Sie noch leben, haben Sie allein mir zu verdanken! Aber es spielt gar keine Rolle, Mr. Dowling!«
Visblats Gebrüll hallte durch den Gang – und zwei Sekunden später kam der Schall aus der entgegengesetzten Richtung.
Wie konnte das sein?, fragte sich Wilson.
Seine Frage wurde sofort beantwortet, als er um die Ecke bog und in eine riesige Höhle blickte. Sie war gut und gern zehnmal so groß wie der Rasenhof der Universität von Sydney, und der maß insgesamt ein Acre. Die Höhle musste mindestens zweihundert Meter breit sein. Ringsherum brannten Hunderte von Öllampen; ihre Flammen warfen ein geisterhaft flackerndes Licht an die groben Felswände. Unter ihm mündete der Gang auf eine Steinbrücke, die die Dunkelheit überspannte. Es gab noch drei solcher Brücken, zwei links und eine rechts neben ihm, die jeweils fünf Meter auseinanderlagen. Sie hatten kein Geländer.
»Vier Ausgänge, vier Brücken«, schloss Wilson. Das erklärte, warum er Visblats Stimme aus zwei Richtungen gehört hatte. Er ging bis ganz an den Rand und trat einen Steinsplitter in die Tiefe. Er hörte ihn nicht aufschlagen. Der Spalt war scheinbar bodenlos.
Alle vier Brücken führten über den Abgrund und endeten etwa fünfzig Meter entfernt an einer glatt gemauerten Wand. Nach der Größe der Steinblöcke zu urteilen, bildeten sie das Fundament der Chephren-Pyramide. Wilson sah, dass man nur auf eine der anderen Brücken gelangen konnte, wenn man in das Labyrinth zurückging – für einen Sprung waren sie jedenfalls zu weit
Weitere Kostenlose Bücher