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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Edelbordell die Gliedmaßen einer Schaufensterpuppe angeschnallt hat. Ich frage mich, wer zahlt für so was?
    – Grüne Spinnen, sagte ich.
    – Welche Spinnen?
    – Ah, gut, du kannst mich also wieder hören. Können wir jetzt miteinander reden?
    – Sicher.
    – Du hast mich angerufen und gesagt, dass du in meiner Wohnung wärst. Warum hast du das gesagt?
    Lydia schwieg. Der Garten war still. Wie die Rahmenhandlung einer Heimatgeschichte, vorgelesen von einem alten, seltsamen Mann mit Hornbrille. Das Licht, das den Garten erhellte, verlieh allem, den Liegestühlen, dem weißen Gartentisch, sogar dem friedlich zusammengerollten Wasserschlauch, eine comicartige Schärfe. Die Ränder der Dinge schienen ihr eigentliches, unbemerktes Geheimnis zu sein. Ein Mückenschwarm, der in die Nacht davontanzte, glitt durch die Dinge hindurch, als gäbe es keine festen Oberflächen.
    – Ach, ich weiß auch nicht, sagte Lydia. Ich wollte, dass du mir zuhörst, das ist alles.
    Lydia lag auf einem der Liegestühle. In ihrer Hand drehte sich eine nervöse Bierflasche. Auf dem weißen Gartentisch neben ihr lag ein Buch.
Gärten – Die Orte Gottes
. Der Autor ein multikulturelles Gemisch namens Albert Fatih Johnson.
    – Und?, fragte ich.
    – Ach, scheiße, das ist alles so kompliziert, sagte sie. Ein Haufen hundskomplizierte Geschichten. Mein Gott …
    Gott, ein Heimatdichter in der charakteristisch neutralen Abendgarderobe seines Metiers, steigt die drei Stufen zu einer kleinen Freilichtbühne empor. Niemand beachtet ihn, als er sich an den Tisch setzt. Er sucht in seinen Taschen, findet eine schmetterlingsförmige Brille, die er sorgfältig auffaltet und sich auf die Nase klemmt. Mit zitternder Stimme liest er einen Auszug aus seinem Work in Progress. Bevor er zu lesen beginnt, nimmt er einen gewaltigen Schluck aus dem Wasserglas. Es ist halb leer. Er liest eine traurige Geschichte über einen Mann und eine Frau. Eine Szene, die in einer Küche spielt
.
    – Du verlässt mich nicht, zumindest nicht ganz … Ach, du weißt schon, was ich meine, sagte sie und ließ eine Haarsträhne, die sie zwischen ihren Fingern zu einem kraftlosen Korkenzieher gezwirbelt hatte, los. Die Strähne wickelte sich auf.
    – In Ordnung, sagte ich. Aber ich meine, bitte versteh das jetzt nicht falsch, aber wie … ich meine, wie kannst du dir da so sicher sein?
    Der Satz ging entschieden zu weit, aber ihr Gesicht blieb, wie es war: entspannt. Sie griff sich wieder eine Haarsträhne, diesmal eine dünnere.
    – Einfach so, ich …
    Sie drehte sich um und nahm einen Schluck direkt aus der Flasche. Ein Echo der Schluckbewegung ging durch ihren zierlichen Nacken.
    – Ich weiß es, weil ich Vertrauen zu dir habe, sagte sie und stellte die Flasche vor mich hin, als gehörten Vertrauen und Flasche irgendwie zusammen.
    Ich wollte einen Bissen von meinem Kuchen nehmen, da hielt mich Lydia zurück.
    – Halt, warte!
    Sie nahm mir die Gabel aus der Hand.
    – Was denn?
    – Ist vergiftet, sagte sie und aß das Stück selbst.
    Dann spülte sie mit einem Schluck nach. Bier rann ihr übers Kinn und tropfte auf ihr T-Shirt. Sie wischte sich den Mund mit dem nackten Unterarm.
    Sie lachte.
    – Mein Gott, sagte sie, jetzt schau nicht so dumm. Glaubst du wirklich, ich bin eifersüchtig? Ausgerechnet dieses eine Mal? Iss ruhig fertig, ich wollte nur kosten.
    – Man weiß ja nie, sagte ich.
    – Oh doch, sagte sie, man weiß sehr wohl. Ich kenne dich länger als irgendjemand sonst, ausgenommen deine Mutter. Und auch wenn du weiterhin hartnäckig glaubst, dass es in jedem Menschen diesen kleinen, unbetretbaren Raum gibt, der bis in alle Ewigkeit verschlossen bleibt, bin ich doch so nahe an einem vollständigen Bild von dir, wie man es nur sein kann. Wie kannst du mir dann ins Gesicht sagen, ich würde ausgerechnet
das
nicht verstehen? Es gibt nichts an dir, keine Entscheidung, keine Bewegung, keine Bemerkung, die mir nicht bekannt vorkommen würde! Also bitte … Siehst du? Ich
bitte
dich wirklich … erklär mir.
    – Aber
was
soll ich erklären?
    – Natürlich, die Frage habe ich erwartet. Diese Fragen.
Was willst du überhaupt, warum stehst du da vor mir und hältst mir dieses sprechende Gesicht vor? Warum bist du überhaupt da? Warum gibt es dich?
Sag selbst. Warum mache ich das wohl? Was meinst du?
    – Du willst wissen, wo ich hingehe?
    – Falsch.
    – Du willst nicht wissen, wo ich hingehe?
    – Das
Wo
ist mir völlig egal. Ob du dich mit irgendjemandem in einem

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