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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Liebschaft oder wie auch immer. Und das bei dem Altersunterschied! Mein Gott, die Welt war wirklich klein, wie die Wespentaille einer Sanduhr.
Er
war der Grund dafür, dass Valerie ständig eingeraucht und liebestrunken in ihrem fetten Bürosessel geschaukelt war, sich wie ein junges Präriepferd fühlend, albern und verantwortungslos.
    Alex, dachte er, Alex. Kerfuchs. Betont auf der ersten Silbe.
    Und das die ganze Zeit und vor seiner Nase. Wie aber kam es, dass sie sich nie über den Weg gelaufen waren?
    Er schaute auf die Uhr, es war immer noch zu früh. Aber vielleicht wartete der Zug bereits, sodass er sich in einem Abteil verstecken konnte. Als er aus der Kinoruine trat, hörte er ein Flugzeug über sich im Landeanflug. Er dachte an die Passagiere, die, in zwei parallele Sitzreihen gepresst, viele hundert Meter über der Erdoberfläche dahinflogen. Er würde nie erfahren, wer sie waren, und sie ahnten nichts von seiner Existenz. Das Einzige, was ihre Welt mit seiner verband, war das fauchende Geräusch der Triebwerke.

    Was für ein entsetzlicher Traum!
    Uljana schreckte hoch, knurrte. Die Vibration in ihrer Kehle brachte sie ein wenig zu sich. Sie sah sich um.
    Eine Katze saß auf einem der abgewetzten Briefkästen, die aus einer endlosen Mauer wuchsen, und beobachtete sie. Uljana blinzelte und die Katze löste sich auf, genauso wie die schrecklichen Details des Traums, der noch vor Sekunden durch ihren Körper gejagt war. Schläuche, schmerzhafte Schläuche. Silberne Instrumente, so wie man sie zum Zerkleinern des Futters im Napf verwendete. Und entsetzliche Hitze. Aber es war nur ein Traum gewesen. Nichts, wovor man Angst haben musste.
    Jetzt war sie wach, träumte nicht mehr. Sie war verloren.
    Sie versuchte, unter dem großen schwarzen Auto hervorzukriechen, aber dann blieb sie hinten an der Stoßstange hängen, ihr Körper befand sich bereits im Freien, aber ihr Nacken hing fest, weil er kein Nacken mehr war, sondern eine Monstrosität, ein blauer Trichter (der für sie nur hässlich grau aussah), in dem sie nun kläglich feststeckte.Sie zerrte, half mit den Hinterfüßen nach und kam schließlich frei. Sie landete auf dem Rücken.
    Benommen wackelte sie davon. Ihre Pfoten bildeten kleine, zitternde Fleischstücke auf dem Asphalt. Sie hatte Lust, danach zu schnappen, so sehr fiel sie nun der Hunger an mit seinem leeren, chaotischen Gebiss.
    Sie schnupperte an einer Mauerecke, wo es nach vielen Hundeschicksalen roch, nach interessanten Lebensläufen, ebenso irritiert und verzweifelt wie sie. Eine Doppelgängerin hatte hier ihre Duftmarke hinterlassen. Etwa gleich alt.
    Uljana sog die Luft ein.

Der Proust’sche Fragebogen
    Was ist dein Lieblingssport?
    Obst.
    Was ist deine Lieblingsfarbe?
    Geplatzte-Adern-unter-dem-linken-Auge-Blau.
    Was ist dein Lieblingszeitvertreib?
    Im Augenblick: mir das Headset auf den Kopf schnallen und einfach wild drauflosreden, damit durch die Stadt gehen und wahllos Leute beleidigen, die es nicht einmal mitbekommen, weil sie glauben, ich rede mit jemand anderem. Das ist besser als jeder Selbsterfahrungskurs. Die verlorene Kunst des Selbstgesprächs wiederaufleben lassen.
    Ich habe so oft versucht, Valerie zu erreichen, dass ich beginne, mir Sorgen zu machen. Zuerst die Sache mit der Oper, dann dies. Nicht einmal in ihrer Praxis ist sie aufgetaucht. Und jetzt kommen auch noch Lydias Eltern zu Besuch.
    Was ist der Lieblingszeitvertreib von Lydias Vater?
    Fragen stellen. Schmunzeln. Dieselben Fragen langsamer wiederholen.
    Was hasst du am meisten?
    Leute, die unentwegt Fragen stellen.
    Wie hast du die Eltern deiner Freundin kennen gelernt?
    Bücherregale überwucherten eine ganze Wand des Zimmers, alphabetisch geordnete Prachtbände und Taschenbücher,die so eng standen, dass sich, wenn man ein Buch herausnahm, die anderen um die entstandene Lücke schlossen wie Honig, aus dem der Löffel gezogen wird, dann CDs, Hunderte, hauptsächlich Klassik und die kompromisslose Musik des späten zwanzigsten Jahrhunderts (Lachenmann, Ligeti, Rihm), dazwischen auch progressive Bands, die anzeigen sollten, wie jung das alt gewordene Ehepaar geblieben war; dann ein paar dichterisch veranlagte Songwriter wie Elliott Smith, Suzanne Vega und Nick Drake und ein paar Bands mit komplizierten Namen, die ökumenisch-religiösen oder existenzialistischen Jazz spielen.
    – Ah hier, Alexander, schau, wie wär’s mit dieser Frage:
Wer ist dein Lieblings-Prosaschriftsteller
?
    Konnte Chris Ware als

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