Die Frequenzen
Und die Frage nach Gott … mir fällt dazu immer die Geschichte mit dem Gehirnchirurgen und dem Astronauten ein, kennst du … kennst du die Geschichte?
– Ich glaub schon.
– Wo der Astronaut sagt, ich war schon überall im Weltraum und hab nirgends Gott gesehen –
– Ja.
– Und dann sagt der Gehirnspezialist: Und ich hab schon so viele Köpfe operiert, Hunderte, was sag ich, Tausende –
– Aber nirgends ein intelligenter Gedanke, ja, ich kenn die Geschichte.
– Nein, nur
Gedanke
. Mit dem Wort
intelligent
würde die Geschichte ja gar keinen Sinn mehr machen, oder?
Er sagte das so höflich, wie man einen solchen Satz sagen kann.
– Okay …
– Aber, was ich noch sagen wollte, diese … Beseeltheit von allem, das ist mir … eigentlich seit deiner Geburt geläufig, aber erst, seit ich von meiner Reise zurückgekommen bin –
– Sicher, ja.
Haben wir das alle gehört?
Seit deiner Geburt
. Das Messer hatte meine Wange glatt durchschlagen. Blut rann mir die Kehle hinab.
– Ich gebe zu, dass mich der Atheismus, mit allen seinen Vorteilen und Nachteilen, manchmal durchaus reizt … gerade in Momenten von Verzweiflung und aussichtslosen … hm, aussichtslosen –
Und so weiter und so fort. Er lässt kein Klischee aus, schlägt auf jedem Gemeinplatz sein großes Zirkuszelt auf, in dem er seine Kindheit (eine Zeit, über die ich nichts wissen und nichts sagen kann, eine Zeit, die ganz und gar tabu ist) über die Trapeze jagen kann. Mir fällt auf, dass meine Hände etwas weniger schwitzen. Eine Hand wandert in die Gesäßtasche.
– Oh, Entschuldigung, ich geh nur kurz ran.
Er hebt eine Hand, wie um zu sagen:
Aber ja, sicher, geh ruhig ran, ich spreche dann einfach weiter, wo ich aufgehört habe
–
Während ich so tue, als würde ich telefonieren, schaue ich ihn immer wieder direkt an, mit dem gläsernen Schaufensterpuppen-Blick, den telefonierende Menschen auf andere richten.
– Ja? Hallo? … Ah! Sie schon wieder! … Nein! … Ich habe Ihnen doch schon einmal gesagt: Lassen Sie mich mit Ihrem verdammten Wahnsinn in Ruhe! Ich … Nein … Nein, jetzt hören Sie
mir
einmal zu: Ich weigere mich, Ihnen noch länger … Ich … Was erlauben Sie sich, mich hier so niederzulabern … Was? Ein Treffen! Ha! Sie sind wohl nicht mehr ganz bei Trost! Nach allem, was Sie mir! Nach allem!
Und dann –
– Der Weltraum selbst ist der Gegenbeweis, Sie verdammter … Ja … Ja, sicher ist das von mir … Wollen Sie allen Ernstes behaupten, Sie haben immer noch nicht verstanden … dann lesen Sie einmal die
Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei
… Was? … Ach, schlagen Sie’s nach, ich hab keine Lust, immer alles für Sie zu wiederholen … Ja … in Ordnung … sicher, das weiß jeder … dass wir uns zur Sonne aufmachen können, mit Rucksack und Gepäck und was weiß ich … und wenn wir dann ankommen, dann … Was? Lassen Sie mich ausreden! … Und wenn wir dort ankommen … Lassen Sie mich! … Dann ist sie eine verdorrte Sonnenblume, sonst nichts. So! Haben Sie das jetzt verstanden? … Gut … Und dann setzen wir uns ins Gras und weinen … Im Übrigen tun wir genau das … Sie tun ja selbst nichts anderes, mit Ihrenwiderlichen, schmierigen – Wie bitte? Ach ja? Sie mich auch!
Und ich drücke den Zeigefinger auf den kleinen roten Knopf mit dem weißen Hörer-Symbol.
– Entschuldigung, dieser Kerl quält mich.
Verdutzt nimmt mein Vater den Faden des Gesprächs wieder auf, aber sein Blick hat sich geändert. Er redet weiter, ich nicke an manchen Stellen, für kurze Zeit erlangt er seinen aufrichtigen Kinderernst wieder, etwa als er erzählt, wie er eines Tages im Wald einen Vogel auf einem Zweig betrachtet und kurz darauf fällt der Vogel tot zu Boden. Irgendwie war in diesem Vogel Gott und gleichzeitig war Er auch im Wald und in ihm, dem Beobachter.
Irgendwie
.
Ich überlege, ob ich in Gedanken eine Strichliste für dieses Wort machen soll. Meine Hand wandert erneut in meine Gesäßtasche.
Gleich wird es klingeln, gleich. Und endlich wird jemand rangehen, aber:
– Ich will niemandem etwas vormachen, vor allem nicht mir selber und … ich weiß auch, dass das für dich genauso schwierig ist und alles.
– Ja.
– Aber jetzt, da du erwachsen bist, kann ich dir sagen, dass ich sicher nie … ich meine …
– Sicher, ja.
– Ich meine, ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll, ich wollte dich jedenfalls persönlich zu meiner –
Bevor er zu Ende sprechen
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