Die Frequenzen
anderen Land waren immer undurchschaubar und gefährlich.
Mitsuko ging in die Küche und trank eiskaltes Wasser, direkt aus der Schale ihrer Hände. Sie betrachtete ihre Finger unter der Wassersäule und dachte daran, dass sie diesen Beruf nicht ausüben könnte, wenn sie Cellistin oder Pianistin wäre. Natürlich brauchte man auch für Percussion Fingerspitzengefühl, aber der kleine Schnitt, den sie sich mit der Schere beigebracht hatte, war zu verschmerzen. Sie zuckte zusammen. Sie hatte eine Stimme gehört. Sie drehte den Wasserhahn ab und lauschte. Vielleicht ein Angehöriger, der geklopft hatte. Aber der hätte vorher angerufen.
– Hallo?, sagte sie.
Stille.
Sie kehrte zu dem Alten zurück und fragte ihn auf Japanisch um Erlaubnis. Anschließend entschuldigte sie sich bei ihm und begann zu erzählen, was die Anruferin gesagt hatte. Um völlig sicher zu gehen, blieb sie bei ihrer Landessprache, in der alles sehr viel leichter ging.
– Warerie-wa jiko-ni aimashi-ta.
Valerie hatte Unfall
. Und sie ist tot. Ihre Tochter.
Valerie hatte ei-nen Unfall. Den
Unfall. Richtiger Fall. Während sie diesen Satz einige Male vor sich hin murmelte, schnitt sie die wuchernden Haare des Alten weiter. Sie drehte seinen Kopf hin und her, je nachdem, welcher Winkel gerade günstig war.
Das alles ergab nicht den geringsten Sinn. Sie stand hier am Bett eines Wachkomapatienten, dessen Tochter gerade gestorben war, und sie schnitt ihm die Haare mit einer kleinen –
Das Telefon läutete neuerlich, und vor Schreck fiel ihr die Schere auf die Brust des Alten. Sie ließ sie dort liegen und rannte hinaus. Atemlos hob sie ab, aber es war nur eine Umfrage über Lebensmittelqualität. Mitsuko ließ einen Schwall japanischer Schimpfwörter los, worauf die Call-Center-Agentin höflich ankündigte, sie werde zu einem günstigeren Zeitpunkt noch einmal anrufen.
– Baka!
Als Mitsuko ins Zimmer zurückkam, fand sie den Alten verändert vor. Sie nahm die Schere von seiner Brust und steckte sie sicherheitshalber ein. Sie blickte ihm ins Gesicht, und plötzlicher Schwindel befiel sie, denn in diesem Gesicht ging alles im Kreis, die Augen des Alten rollten eine Sekunde lang in ihren Höhlen und die Lider flatterten, als würde ein heftiger Windstoß an ihnen zerren. Sein ganzes Gesicht glitt in einen Fiebertraum. Sogar die Haare schienen im Delirium zu liegen; sie zitterten aus eigener Kraft wie die gelben Wimpern eines Forsythienbusches, durch den der Wind fährt. Dann erkannte Mitsuko, woher der Eindruck kam, er habe Fieber. Das kalte, unfreundliche Rot des Sonnenuntergangs färbte seine sonst so blasse Haut. Der hohe, alte, ergraute Kopf glühte, Windmühle in der Baumkrone, wie im Widerschein einer gigantischen Explosion. Auf den ersten Blick hätte man es auch für einen dünnen Film aus Blut halten können.
Mitsuko trat näher.
Etwas war geschehen. Hatte sie ihn verletzt? Aber die Schere war nur auf ihm gelegen. Sie sog die Luft durch die Nase ein und prüfte den Geruch. Nein, das war esauch nicht. Außerdem hatte sie ihn gerade vor einer halben Stunde gewickelt und gewaschen. Vielleicht hatte er Schmerzen? Wenn ja, war es ein langer Weg, bis sie die Ursache gefunden hatte. Oder er hatte Albträume, was in seinem Zustand wohl unwahrscheinlich war.
Dann hörte sie die Stimme, und es kam so unerwartet, dass sie instinktiv den Kopf einzog und ihr Gesicht hinter geballten Fäusten verbarg, als hätte jemand kreischendes Geschirr nach ihr geworfen.
–
Ähhh
….
Es klang wie ein weit entfernt blökendes Schaf, ein sehr junges Schaf, das nach seiner Familie ruft. Dann änderte sich der Laut ein wenig, wurde leiser und krächzender und ähnelte mehr dem Röhren der Luft in einem U-Bahn-Schacht. Mitsuko streckte ihre Hand aus und wollte den Kopf, der dieses seltsame, neue Stöhnen von sich gab, berühren. Aber obwohl sie ihn jeden Tag hunderte Male anfasste, an allen möglichen Stellen, zögerten ihre Hände diesmal. Das Gesicht wirkte fremd und bedrohlich, wie die glühende Vorderseite eines durch die Nacht jagenden Autos.
Der Tanzschritt
Eine Liste von Dingen, die ich bestimmt niemals tun würde
:
Leuten Angst machen, damit sie sich hinterher selbst besser verstehen
Bücher verbrennen, besudeln oder zerreißen
Bei einem Milgram-Experiment mitmachen von dem ich weiß dass es ein Milgram-Experiment ist denn ich würde am Ende nur den Versuchsleiter attackieren und unter Strom setzen und dann mich selbst und das ganze verdammte
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