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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Miniatur-Orden auf der Brust und der altertümlichen Fliegerhaube über dem Gesicht purzelte umher, brüllte Verwünschungen, zeigte uns durch die trübe Scheibe der Flasche, die zur Hälfte von einem eleganten Etikett verdeckt wurde, sein vor Zorn rot glühendes Gesicht und wedelte mit der geballten Faust. Er verlangte heiser, augenblicklich wieder in seine Maschine gesetzt zu werden, um den nächsten Angriff fliegen zu können. Wir lachten ihn aus und ließen die Flasche über den Teppichboden rollen. Der kleine Pilot schlug verzweifelte Purzelbäume. Völlig erschöpft fiel er in Ohnmacht. Wir holten ihn mit einer Pinzette aus seinem Gefängnis und beschlossen, ihngnadenhalber aufzuspießen, solange er noch schlief. Wir entkleideten ihn. Wir leerten auch seine Taschen. In der Innentasche seiner Jacke fanden wir einen langen Brief und lasen ihn unter einer Lupe.
Liebe Käthe
– so begann er, aber mehr konnten wir nicht entziffern. Walter bestand zwar darauf, dass ihm gerade einfiel, wie der Brief weitergehen könnte, doch mich langweilte das Spiel bereits, und so stopften wir den Brief zurück in die Tasche und zogen den Piloten wieder an. Walter schien enttäuscht. Wir hätten die Flasche zumindest noch ein wenig über eine Flamme halten können, sagte er.
    Weil es schon spät geworden war und Walter bald von seinem Vater abgeholt werden würde, beschlossen wir, dass Folgendes passierte: Ein paar Wochen päppelten wir den völlig entkräfteten und leicht verletzten Piloten mit Brotkrumen und klein gehackten Nüssen auf, die wir ihm mit einer Pinzette in seine Sektflasche reichten. Er streckte sich jedes Mal gierig nach dem nächsten Brocken. Als er wiederhergestellt war, ließen wir ihn frei. Eines friedlichen Morgens schließlich kletterte er in seine Propellermaschine und hob ab.

Die Gruppe
    1. Szene. Ein halber Sesselkreis in einem kleinen Zimmer. Vor den Fenstern Abend. In einer Ecke des Zimmers ein kleiner Käfig, darin ein kleiner bunter Vogel, der sich kaum bewegt. Eine große, grüne Zimmerpflanze mit Blättern in Form eines gefrorenen Springbrunnens
.
    Personen: Die Gruppenleiterin, eine Frau um die Vierzig mit Schweißflecken unter den Achseln; die verschiedenen Teilnehmer der Gesprächsgruppe
.
    Gemurmel unter den Teilnehmern, bevor die Leiterin mit der Begrüßung beginnt
.
    LEITERIN: So … dann möchte ich gern alle begrüßen, die heute Abend gekommen sind … hier ins Institut für Lebensführung. Mein Name ist Valerie und ich werde diesen Gesprächsabend leiten. Das Gruppengespräch versteht sich … gewissermaßen als Ergänzung zur Einzeltherapie. Und … ja.
    Sie klemmt sich die Stirnfransen hinters Ohr. Sie bleiben nicht hängen, fallen ihr wieder in die Stirn
.
    Auftritt Walter. Er trägt eine unauffällige Weste, so wie sie Menschen mit psychischen Problemen in schlechten Hollywoodfilmen tragen. Die Schirmkappe, die er auf dem Kopf getragen hat, hält er in der Hand und fächelt sich damit Luft zu. Es ist Sommer und sehr heiß. Walter schwitzt entsetzlich
.
    LEITERIN: Guten Abend. Bitte setzen Sie sich.
    WALTER
setzt sich auf den einzigen noch freien Sessel, dreht die Schirmkappe nervös zwischen seinen Fingern. Er sieht auf seine Schuhe. Sehr leise:
Hallo.
    Felix, ein in leichter Seitenlage gehender Musikstudent, hat sich unterdessen von seinem Platz erhoben und streunt im Zimmer herum
.
    FELIX
vor dem Vogelkäfig
: Kann er … kann er sprechen?
    LEITERIN
bemerkt ihn
: Was?
    FELIX: Der Vogel. Kann der sprechen?
    Pause
    LEITERIN: Ja.
    FELIX
aufgeregt
: Und?
    LEITERIN
scheint zu überlegen
: Wollen Sie sich nicht vielleicht lieber setzen?
    Pause. Felix bleibt vor dem Käfig stehen. Er lacht auf
. Was ist so komisch?
    FELIX: Der Papagei … er hat geseufzt!
    LEITERIN: Geseufzt?
    FELIX: Ja! So richtig, mit Heben und Senken der Schultern, so –
    Er macht es vor
.
    LEITERIN: Nehmen Sie doch erst einmal Platz. Wir fangen dann an.
    FELIX
bleibt stehen
: Man könnte einem Papagei ja im Prinzip alles beibringen. Gebete …
    LEITERIN
steht auf
.
    FELIX: Flüche oder philosophische Sätze.
Zum Papagei:
Gott ist tot. Hey, Gott ist tot.
    WALTER: Keine Angst, der wächst wieder nach.
    Alle starren ihn an, die Leiterin vor allem. Ihr Gesicht drückt äußerstes Unbehagen aus. Längere Pause
.
    FELIX: Was hat er gesagt?
    LEITERIN: Gar nichts, kommen Sie jetzt, setzen Sie sich.
Sie deutet auf den freien Stuhl, der sofort um eine Grauschattierung dunkler wird. Felix zuckt mit den Achseln, geht an seinen

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