Die Frequenzen
Platz und setzt sich
. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, wo wir letztes Mal aufgehört haben.
Der Vogel brabbelt plötzlich vor sich hin. Felix springt auf und rennt zurück zum Käfig
.
FELIX: Haben das alle gehört? Er hat was gesagt! Hat jemand verstanden, was er gesagt hat?
LEITERIN: Alles ist in Ordnung. Kommen Sie. Setzen wir uns wieder hin. In einem so intimen Rahmen können wir wirklich gut auf jeden Einzelnen eingehen. Aber bevorwir das tun, wäre es vielleicht ganz gut, wenn wir unsere natürlichen Berührungsängste abbauen und uns ein bisschen mit gegenseitigem Vertrauen aufladen.
Sie steht auf
. Vielleicht steht jetzt jeder einmal auf.
Die Gruppe kommt ihrer Aufforderung zögerlich nach. Jutta, eine magere Frau mit Kopftuch, ist schüchtern und versteckt ihr Kinn hinter einem Seidenschal, der von ihrem Neffen mit Wasserfarben bekleckst worden ist. Sie wird von einem kraftlosen trockenen Dauerhusten gequält, wie Leute, die in Symphoniekonzerten sitzen
.
LEITERIN: Und jetzt nimmt jeder … einfach so, ohne tiefere Bedeutung … die Hand seines Nachbarn. Jeder zumindest eine. Gut. So … und jetzt machen wir langsame Wellen, so –
Sie bewegt ihre Hände vor und zurück, wie langsame Ruderbewegungen
. Und wenn ich vorne bin, dann gehen die Nachbarn nach hinten und die nächsten wieder nach vorne, so –
Die Gruppe macht zuerst mit, kommt dann aber sofort mit dem Rhythmus durcheinander. Gabi hat als einzige schon die Augen geschlossen und bemerkt es nicht. Ein paar Teilnehmer lassen kurz los
. Und jetzt schließt jeder die Augen. Gut. Und jeder versucht, sich in den Wellen-Rhythmus der Gruppe einzufühlen. So –
Wieder kommen einige Teilnehmer aus dem Rhythmus. Jetzt macht auch Gabi die Augen auf und sieht verwirrt hin und her
. Ja. Wie man sieht, ist das am Anfang gar nicht so leicht. Wem ist es leicht gefallen, sich einzufühlen?
Pause
JUTTA
mit gepresster Stimme, kurzatmig
: Mir ist es am Anfang sehr schwer gefallen, obwohl ich die Übung ja schon vom letzten Mal kenne und sonst eigentlich auch keine großen Schwierigkeiten hab, mich in die Gruppe einzufühlen, also könnten wir vielleicht noch einmal, ich meine, einfach von vorn damit … damit …
Sie wird leiser, schweigt schließlich. Dann ein krampfhaftes Husten, wie das Zischen einer Zigarette im Schnee. Den verlorenen Satz bringt sie nicht mehr zu Ende
.
WALTER: Der Fluss war noch nicht richtig da …
FELIX: Was?
JUTTA
bevor Walter antworten kann
: Der Fluss. Die Welle, die dann irgendwann über alle …
WALTER: Der energetische Fluss.
LEITERIN
sieht Walter kurz von der Seite an
: Nun ja, für den ersten Versuch war es nicht so schlecht. Natürlich muss man sich einlassen auf die anderen, auf die Bewegungen, gewissermaßen auch auf den Bewegungs
drang
der anderen. Denn jeder hat seine eigenen Richtungen, seine eigene Geschwindigkeit, seine Eigenschwingung gewissermaßen.
Nina, eine junge Frau mit einer grauen Haarsträhne, blickt auf, als hätte in der Ferne jemand geschrieen
.
FELIX
der wieder zu dem Vogel blickt und sich wünscht, das kleine, putzige Federvieh in Händen zu halten, es zustreicheln und ihm einen Namen zu geben
: Ich seh aber nicht ganz ein, was das jetzt mit uns –
WALTER
unterbricht ihn
: Den meisten Menschen ist ihre Bewegung mehr dik
tiert
als
eigen
. Bei den meisten ist eher alles fremdbestimmt, weil sie noch nicht so weit sind, auch nicht so weit sein können, weil sie noch voll sind von ihren Blockaden –
LEITERIN
streng
: Einen Augenblick, ich glaube, Felix wollte was sagen …
FELIX
lässt die rechte Hand von Jutta los, die sie sofort erleichtert ausschüttelt und unter ihre linke Achsel klemmt
: Ich sehe nicht, wie diese Übung Vertrauen … wie wir damit …
LEITERIN
professionell fröhlich
: Wir machen sie ja noch einmal, keine Angst. So viel Zeit muss sein.
WALTER
im Tonfall eines Hare-Krishna-Jüngers
: Manche Menschen haben halt Schwierigkeiten, sich darauf einzulassen.
Jutta hält Felix wieder ihre Hand hin. Er bemerkt sie zuerst nicht, weil er Walter anstarrt
.
LEITERIN: Also, noch mal. Alle schließen die Augen.
Jutta nimmt die Hand von Felix, der in seinem Zorn die Augen geschlossen hat. Er erschrickt ein wenig
. Und noch einmal wiegen wir uns vor und zurück, jeder in seinem Tempo, an das sich der Partner anpassen muss, und wieder der nächste und so wie die Glieder in einer Kette –
Walter rutscht auf dem Boden aus und reißt Felix und Gabi mit sich zu Boden. Er entschuldigt sich
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