Die Freundin meines Sohnes
mir durch den Kopf, als ich Joe in der Krankenhaus-Cafeteria traf.
»Wo hast du gesteckt?«, fragte er beiläufig. Normalerweise aß Joe nicht in der Krankenhaus-Cafeteria, es sei denn, er kam gerade von einer Entbindung und hatte Hunger, sonst ließ seine Praxis sich immer Essen liefern.
Ich zuckte mit den Achseln und lud mir gebackenes Huhn, Salat und eine Coke aufs Tablett und sah zu, wie Joe mit einem pedantischen Glitzern in den Augen die Auswahl der warmen Gerichte begutachtete. Herrgott, nimm das Huhn, es wird dich nicht umbringen.
»Ich überlege, wie ich es anstelle, dass mein Sohn sich nicht sein Leben ruiniert.«
»Wie bitte?«
»Ich überlege, wie ich es anstelle, dass Alec sich nicht …« Und da schoss es mir durch den Kopf. »Joe, du weißt es, oder?«
»Was denn?«
»Dass sie weggehen?«
»Wer geht weg? Und wohin?«
Oh, Joe, mein Bruder Ahnungslos. Wir bezahlten und fanden in einer Ecke des Raumes einen leeren Tisch. »Joe, für dich hört sich das vermutlich genauso verrückt an wie für mich, aber du solltest wissen, dass unsere Kinder planen, in anderthalb Wochen zusammen nach Paris zu gehen.«
»Nach Paris? In Frankreich?«
»Ich dachte, du weißt das.«
»Woher soll ich das wissen?«
Unser Kind besaß wenigstens soviel Anstand, uns vorzuwarnen. »Laura kennt anscheinend Tunesier, die in Paris einen Klamottenladen haben«, sagte ich. »Alec meint, es sei für seine künstlerische Ausbildung besser, wenn er, ich weiß auch nicht, in ihrem Dunstkreis ist.«
»Sie geht weg?« Joe sah auf seinen Teller, fingerte an seiner Gabel auf dem Melamintablett. »Jetzt schon?«
»Joe, du hast nicht mit ihr darüber gesprochen? Sie hat nichts gesagt?«
»Ich dachte, es gefällt ihr im East Village«, sagte er. »Ihre Mitbewohnerin ist zwar etwas schwierig, aber sie hatte doch einen Job in Aussicht. Unten in ihrem Haus befindet sich ein Yoga-Studio, Avenue A Yoga. Sie hatte überlegt, dort eine Prüfung zu machen, um in dem Studio zu unterrichten.«
»Dann haben sich die Pläne anscheinend geändert.«
»Ich glaub auch.« Er seufzte. Rieb sich die kahle Stelle auf seinem Haupt.
»Irgendeine Chance, dass du ihr vielleicht, ich weiß nicht, irgendwas sagen könntest? Ihr klarmachen, dass …«
»Ich habe es wirklich sehr genossen, dass sie da war«, sagte Joe und stocherte in seinem Huhn. »Es ist so lange her, dass wir Zeit miteinander verbracht haben, uns ein bisschen kennenlernen konnten. Es ist so lange her.«
So war das also. Die Zukunft meines Sohnes verpuffte vor meinen Augen, und Joe klimperte traurige Lieder auf der Gitarre. »Hör zu, ich glaub nicht …«
»Erinnerst du dich an den Tag, an dem wir alle zusammen im Museum waren? War das nicht ein großartiger Tag?« Du meine Güte. »An dem Sonntag hab ich gedacht, genau so etwas hat mir gefehlt, die Gesellschaft meiner ältesten Tochter und die Gesellschaft meines ältesten Freundes. Wir sind heimgefahren, und ich dachte, wie viele gute Dinge wir über die Jahre entbehren mussten, weil Laura nicht da war.«
»Darüber hast du nachgedacht?«
»Ja«, sagte er ein wenig verlegen. »Ich weiß, ich weiß, aber ich hatte schon immer eine besondere Schwäche für das Mädchen, Pete.«
»Aber ob du deshalb jetzt schon ihr Requiem schreiben musst?«
»Pauline geht demnächst aufs College, und da hab ich michdamit getröstet, dass wenigstens Laura wieder in der Nähe ist. Meine Jüngste geht, aber wenigstens ist meine Älteste in mein Leben zurückgekehrt.«
Ich atmete hörbar aus. »Vielleicht kannst du mit ihr sprechen?«
Joe ließ den Kopf sinken. »Mit ihr sprechen, das ist kaum möglich. Wenn sie sich in den Kopf setzt, irgendwohin zu wollen, geht sie. Ich erinnere mich, als sie bei ihrer Tante Annie gewohnt hat: Eines Tages beschließt sie, ihre Sachen zu packen und zu gehen. Annie war außer sich. Laura hatte ihr einen Zettel geschrieben. Bei der Ziegenfarm war es eigentlich genauso. Sie hätte bleiben können, obwohl die Farm verkauft wurde, aber sie beschließt, sie möchte zur Weinlese oder irgendwas. Und geht.«
»Tja, vielleicht solltest du sie dieses Mal bitten zu bleiben.« Ich wusste nicht, wie ich meinen Standpunkt taktvoll klarmachen sollte. »Es würde mir helfen, Joe, wenn du sie bitten würdest zu bleiben.«
»Warum glaubst du, dass sie auf mich hören wird?«
»Weil sie deine Tochter ist?«
»Ach?« Er lachte. »Schau, seit Lauras Prozess, seit ihrer Zeit im Gateway, hat sie … um es milde auszudrücken, sich
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