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Die Freundin meines Sohnes

Die Freundin meines Sohnes

Titel: Die Freundin meines Sohnes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Grodstein
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ins Kurvenblatt eingeschrieben war. Der Mann mit der Sepsis war jedoch eine ganz andere Geschichte – und eine grässliche dazu. Louis Sherman war Angestellter bei Goldman Sachs und selbst Vater eines kleinen Kindes, zudem seit zehn Monaten Besitzer eines mit viel Aufwand restaurierten viktorianischen Hauses nicht sehr weit von uns entfernt. Eine Frau, so blond, reizend und goyisch, wie es nur geht, und dieser Louis, einsfünfundsiebzig auf dicken Sohlen, krauses Haar rund um eine kahle Stelle auf dem Haupt, Fettflecke auf dem Schlips, eine dreihöckrige Nase – wer sollte es ihm verdenken, dass er sich die ein wenig unterbelichtete,aber ausnehmend charmante Christina Sherman geb. Connell zur Lebenspartnerin erkoren hatte? Der Mann hatte seine Chance wahrgenommen. Louis war seit Teenagerzeiten mein Patient, eine Seele von Mensch und ein großzügiger Geist. Er hatte sich sogar dafür entschuldigt, mich nicht zur Hochzeit eingeladen zu haben – da seine Eltern gegen die Verbindung gewesen waren, hatten die beiden heimlich geheiratet.
    Goldmann-Sachs-Typen waren normalerweise deutlich glatter als Louis, aber der junge Mann war ein Harvard-diplomiertes Ass, die Sorte Renaissance-Genie, die schon bei Tagesanbruch einen alten Russen im Park beim Schach schlägt, bis Mittag zehn Millionen für einen Klienten verdient, in der Viertelstunde Mittagspause, die man sich gönnt, mal so eben bei allen Spielen in der Rotisserie Baseball League richtig wettet und sich nach dem Abendessen beim Fiedeln einer Haydn-Komposition auf dem Cello entspannt. Er spendete große Summen für Israel, für Kinder aus einkommensschwachen Vierteln und für das Museum of Modern Art. Die Sonntage verbrachte er mit seinem Töchterchen bei seiner Mutter, damit Christina bei ihren Freundinnen nicht den Anschluss verlor (durch die Kleine kam, wie es ja immer ist, die Sache mit seinen Eltern wieder ins Lot – Ashley war ein Goldkind). Er war allseits beliebt, und die einzige Auffälligkeit in seiner Krankenakte war das Fehlen einer Milz, die nach einer brutalen Verletzung beim Hockey, als er neun war, entfernt worden war.
    An einem Sonntagabend rief mich Christina zu Hause an, ein Privileg, das ich Lieblingspatienten vorbehielt. »Louis hat Fieber und starke Schmerzen auf der rechten Bauchseite. Ihm ist übel. Blinddarm, oder?«
    Sie war wirklich nicht so dumm, wie ihre Schwiegereltern sie darstellten. »Klingt einleuchtend. Fahren Sie mit ihm in die Notaufnahme. Wir treffen uns dort.«
    Der entzündete Blinddarm wurde von einem Chirurgen, den ich sehr schätzte, endoskopisch entfernt. Bei meiner Visite tags darauf traf ich die ganze Familie wieder, die ich alle behandelte: Steve Sherman, Mathematiklehrer, der bis auf die eulenartig dicke Brille seinem Sohn aufs Haar glich, Shelly, eine jiddische Klatschbase, wie sie im Buche steht, und Louis’ Bruder Joel, Dichter und verwöhnter Lebemann der Familie. Die hübsche Christina, die noch hübschere Ashley, jetzt auf Papas empfindlichem Schoß thronend. »Das war knapp, was, Doc?«
    »Eigentlich nicht«, sagte ich. »Ihre Frau wusste, was zu tun ist.« Das Kurvenblatt bestätigte, dass wir die richtigen Vorsichtsmaßnahmen für einen Menschen ohne Milz getroffen hatten: Er war gegen Pneumokokken und andere hässliche Bazillen geimpft worden, und seine Temperatur wurde noch genauer überwacht, als das bei postoperativen Patienten sonst üblich war. Louis war guter Dinge, seine Gesichtsfarbe war in Ordnung, der Blinddarm war nicht rupturiert. Christina hatte ihn zum Krankenhaus überredet – er hatte bloß an Verdauungsbeschwerden gedacht – und ihm so eine Menge Probleme erspart. Ich war sicher, dass alles bestens ausgehen würde. Ich unterhielt mich noch ein wenig mit der Familie, zog sie wegen der schrecklichen Pechsträhne der Knicks auf (die Shermans waren alle begeisterte Fans und wussten, dass ich auf die cooleren Nets schwor), und Joel erzählte schüchtern, dass er gerade ein Gedicht in der Paris Review untergebracht hatte. Ich sagte ihm, dass ich ein Abo für die Zeitschrift hätte. Ich hielt das Baby auf dem Arm.
    Am nächsten Vormittag wurde Louis aus dem Krankenhaus entlassen, und am Abend des folgenden Tages kam er mit schwerem septischem Schock und im Koma liegend zurück. Eine perforierte Darmschlinge. Peritonitis.
    »Es ging alles so schnell«, sagte Christina, so bleich undkalt wie Frost. »Er sagte, er fühle sich ein bisschen fiebrig, und das Nächste, woran ich mich erinnere – es

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