Die Freundin meines Sohnes
sich nicht zu überfordern.
Wäre Alec ein schlauerer Bursche, hätte er darauf kommen können, dass ich versuchen würde, ihn aus den Trümmern, die er hinterlassen hat, auszugraben. Er hätte ein paar Botschaften zwischen seinem Müll plazieren können. Ein paar nicht abgeschickte Briefe vielleicht – allerdings, wer verschicktheute schon noch Briefe? – oder ein halbvolles Tagebuch. Es war ihm doch so wichtig gewesen, mich wissen zu lassen, dass ich ein totales Arschloch bin, dabei war mein eigenes schlechtes Gewissen, anders als ich gedacht hatte, für mich viel vernichtender als seine Anklage. Ich brauche keinen Alec, der mir sagt, dass ich ein Arschloch bin – das weiß ich selber nur zu gut, auch wenn ich in meinem Innersten überzeugt bin, dass ich bei allem, was ich getan habe, nur sein Bestes wollte.
Rein physisch sieht mein Sohn so aus wie ich. Habe ich das bereits erwähnt? Das war schon immer so. Abgesehen von dem offensichtlichen zeitlichen Abstand der Aufnahmen waren seine Babyfotos von meinen nicht zu unterscheiden. Nach Alecs Geburt hatte sich Elaine immer einen großen Spaß daraus gemacht, die Babyfotos von ihm und mir, die nebeneinander in ihrem Portemonnaie steckten, zusammen herzuzeigen – unsere Freunde kriegten sich kaum ein über die frappierende Ähnlichkeit. Beide waren wir pummelige Kleinkinder mit Buddhabauch, jetzt sind wir beide groß und schlaksig. Mit gutem Grund kann man annehmen, dass auch Alec in seinen Fünfzigern um die Mitte etwas ansetzen, dass sein Haupthaar sich lichten und dass er mit der Zeit kurzsichtig werden wird (momentan hat er allerdings noch unverschämt gute Proportionen, dichtes dunkelblondes Haar und sieht perfekt).
Seine ganze Kindheit hindurch war Alec neugierig auf andere Menschen, war höflich, fleißig in der Schule und half im Haushalt. Er war Fremden gegenüber automatisch freundlich. Wir haben unzählige Ausflüge nach New York gemacht, aber wehe, man kam an einem Obdachlosen vorbei und warf ihm keinen Vierteldollar in den Hut – Alec sprach dann eine geschlagene Stunde nicht mehr mit einem. Ich weiß nicht, wie oft ich ihn angesehen habe und fast vor Stolz auf die Kniegesunken bin bei dem Gedanken: Ja, ja, das ist mein Sohn. Angeblich gibt es das ja nur bei den Eltern der geburtenstarken Jahrgänge, aber das ist mir egal.
Wenn Alec mir heute noch zuhörte, würde ich ihm sagen, dass ich immer nur sein Bestes im Sinn hatte. Ich würde überzeugendere Worte wählen, würde mich bemühen, Klischees zu vermeiden. Andere Väter kommen, soweit ich weiß, über ihre Söhne hinweg – sie erleben eine tiefe Enttäuschung, erwischen den Knaben beim Wichsen im Bad, kriegen mit, wie mies er seine Mutter behandelt oder lassen die Liebe nach und nach einfach erkalten, lassen sie einschlafen, wie das bei Liebe immer passieren kann. Bei mir war das nicht so. Klar, es hatte etliche Gelegenheiten gegeben, in denen meine Liebe zu meinem Sohn auf die Probe gestellt wurde: Er hatte die Schule geschmissen, war ein paarmal von zu Hause weggelaufen, er oder einer seiner Freunde hatte Elaine zwei Opalbroschen gestohlen – warum, konnte er nie richtig erklären. In seinem letzten Jahr an der Highschool war er bei einem Besäufnis mit fünf Ecstasy-Tabletten, die er bei sich hatte, erwischt worden. Ein anderes Mal haben sie ihn drangekriegt, als er sich an der städtischen Grundschule herumtrieb, in der Nähe zweier bekannter Haschdealer, Dan Herkel und Shmuley Gold, die ich, fiel mir ein, zehn Jahre zuvor noch aus der hebräischen Schule im Auto mit nach Hause genommen hatte. Drogenfreies Schulgebiet, Jungs! Auf die Schilder achten! Dan und Shmuley bekamen beide Bewährung, und mein Bruder Phil, der Anwalt, deichselte etwas für uns, so dass Alec mit einem blauen Auge davonkam. Daraufhin ging er geradewegs aus Angst aufs College.
Und schmiss drei Semester später hin.
Ist es aberwitzig, wenn ich zugebe, dass von allen Menschen in meinem Leben – mein Vater, meine Mutter, mein Bruder, sogar meine Frau – Alec mir der Wichtigste ist, meinein und alles? Andere haben mich besser behandelt, und andere haben sich mehr um mich bemüht, aber keinen habe ich mehr geliebt.
Er hat ganz ernsthaft zu Elaine gesagt, er würde, solange ich hier bin, nicht einmal in Richtung Atelier sehen. Er hat zu ihr gesagt, er kapiere nicht, wie sie immer noch auf demselben Grund und Boden leben könne, auf dem auch ich mich befinde. Sie hat mir erzählt, sie habe das Gefühl, sich vor ihm
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