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Die Freundin meines Sohnes

Die Freundin meines Sohnes

Titel: Die Freundin meines Sohnes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Grodstein
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vor mich. »Rousseau war nie in einer richtigen Wüste, deshalb hatte er keinen Grund, das Bild an einem bestimmten Ort anzusiedeln. Ich glaub, er hat sich bloß eine Wüste vorgestellt. Und einen Löwen und eine Zigeunerin. Wilde Tiere hat er sein Leben lang nur in ausgestopfter Form gesehen. Für Pflanzenstudien ist er in botanische Gärten gegangen.«
    »Aha.«
    »Die Kritiker haben ihn nicht ernst genommen. Die hielten ihn für genauso primitiv wie seine Bilder. Anerkannt wurde er erst nach seinem Tod, sein künstlerisches Vermächtnis ist ganz neu bewertet worden.«
    »Woher weißt du das?«
    »Themenabend bei PBS.«
    Sie trat einen Schritt zurück, stellte sich neben mich. Trotz der vier Schwangerschaften hatte Iris immer noch einen fast mädchenhaften Körper, schlank und mit kleinen Brüsten. Sie trug eine dunkle Jeans, eine locker fallende schwarze Bluse mit aufgekrempelten Ärmeln. Flache Absätze. So, wie wir beiden nebeneinanderstanden und das Bild betrachteten, hätte man glauben können, sie sei meine Frau. Hätte sich das schöne Leben vorstellen können, das wir uns aufgebaut hatten: die glücklichen, erfolgreichen Kinder, die wir aufzogen, die romantischen Urlaube, die wir zu zweit verbrachten und für die wir alle diese Kinder bei dem einen oder anderen Großelternpaar in Obhut gaben. Samstags gingen wir immer ins Museum.
    Vor vielen Jahren im ersten Semester hatte ich sie im Seminar zur Wahrscheinlichkeitsrechnung beobachtet, alle anderenhatten hektisch mitgeschrieben – außer mir und ihr. Sie hatte es nicht getan, weil Mitschreiben nicht ihr Stil war, ich nicht, weil ich so von Iris gefesselt war, dass ich kein Wort des Professors verstanden hatte und nichts notieren konnte.
    »Schade, dass Elaine nicht mit hier ist«, sagte Iris.
    »Ja, schade.«
    »Ihr hätte das sehr gefallen. Wer bekommt noch mal das Kind?«
    »Jemand aus der anglistischen Fakultät.«
    »Aber ist sie nicht bloß Lehrbeauftragte? Muss sie zu solchen Partys gehen?«
    »Na ja, du weißt ja, wie sie ist.«
    »Elaine ist so verantwortungsbewusst«, sagte Iris. »Erst recht, wenn es um solche Verpflichtungen geht. Das bewundere ich an ihr.«
    »Sie ist sehr bewunderungswürdig«, sagte ich. »Ja.«
    Ich hatte nie die Traute gehabt, Iris den Hof zu machen. Wir waren in derselben Studiengruppe, und sie sprach mich zuerst an. Sie wollte meine Mitschrift. Wie sollte ich ihr erklären, dass ich keine hatte?
    Zu schlau für Mitschriften? Bist du so was wie ein Klugscheißer?, fragte sie mit ihrer tiefen, rauhen Stimme. Ich hatte dergleichen noch nie gehört. Iris stammte aus Allentown, war die Tochter des letzten koscheren Metzgers in der Stadt. Sie rauchte Marihuana. Lief ohne BH herum. Sie haute mich Ahnungslosen völlig um. Es gab auch andere Mädchen am College, klar, aber vor allem in diesem ersten Jahr kam ich nicht mal auf die Idee, mich nach einer anderen umzusehen. Was gab es da schon zu sehen? Blondinen mit Pferdeschwanz und Cabriolet, Gitarrenspielerinnen, die sich in freier Liebe übten, schwarze Afropower-Puppen mit muskelbepackten Freunden in Dashikis. Ich wollte eine kluge Studentin. Diese eine. Eine Rothaarige.
    Warum hast du denn keine Mitschriften?, stammelte ich.
    Ich hatte gehofft, du schreibst für mich mit, flüsterte sie.
    Aber wir haben noch nie miteinander gesprochen. Woher soll ich wissen, dass ich für dich mitschreiben soll?
    Du kannst meine Mitschrift haben, sagte der schlaksige Kerl mit dem Bürstenhaarschnitt, der uns zugehört hatte. Ich kannte die Bürste – er saß jedesmal genau drei Plätze links von mir und beobachtete Iris fast genauso sehnsüchtig wie ich. Seine schmalen Schultern zuckten dauernd, und er hatte Leberflecke seitlich am Hals – Krebs, hoffte ich.
    Und dann kam das Allerschrecklichste: Iris ging schließlich fast ein Jahr lang mit der Bürste, bis ich sie ihrem zukünftigen Ehemann vorstellte. Ich war total baff, als sie der Bürste für Joe den Laufpass gab – Joe war natürlich nett und so, aber die Bürste hatte wenigstens Haare (Warum nicht ich, Iris? Warum nicht ich ?). Und ich war noch mal baff, als Iris mir erzählte – sie und Bürste hielten nach dem College noch lange Kontakt, sein richtiger Name war Ralph –, dass er kurz vor unser aller Vierzigstem an einem aggressiven Melanom gestorben war.
    Im Oktober unseres zweiten Studienjahres machte Iris mich bei einer Studentenparty mit Elaine Meers bekannt. Zu dem Zeitpunkt hatte sie Ralph zwar noch nicht ausgewechselt, aber

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