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Die Freundin meines Sohnes

Die Freundin meines Sohnes

Titel: Die Freundin meines Sohnes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Grodstein
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mir wurde immer klarer, dass meine Chancen bei ihr wohl für immer null waren. Dann also Elaine: klein, blond, eine leise, mädchenhafte Stimme (vor allem im Vergleich zu Iris’ tiefem Rollen), sanft, schlanke Beine und ein großer Busen, was mir gefiel. Und ich gefiel ihr. Sie nahm mich so ernst, hörte sich alles an, was ich übers College, über Nixon oder Vietnam zu sagen hatte, all meine nicht wirklich fundierten, unausgegorenen Meinungen. Ich nahm mir vor, mich für sie mehr zu bilden – klüger zu werden. Und Elaine gab mir nicht nur das Gefühl, klug zu sein, sondern auch wichtig,sie gab mir den Mut, das Erwachsenwerden voranzutreiben. Ihr Glaube an mich war stets größer als mein eigener.
    Genau einen Monat nach dem Collegeabschluss machte ich ihr einen Heiratsantrag. Elaine wollte an der City University Anglistik studieren, ich war auf dem Sprung ans Mount Sinai, wir waren zweiundzwanzig, ich liebte sie. Aber erst als Iris mit Laura schwanger war – also erkennbar schwanger, so schwanger, dass sie beim Gehen schon watschelte –, drang es so richtig in meinen Dinosaurierschädel, dass Iris Berg nie die Meine sein würde: niemals.
    (Warum nicht ich, Iris?)
    Und trotzdem. Irgendwo in ihrem Unterbewusstsein, tief in ihrem kühlen, spröden Inneren erinnert sich Iris wohl auch noch daran, dass sie mich 1973, auf einer Party kurz vor Ende des Wintersemesters, einmal geküsst hatte. Elaine fühlte sich an dem Tag nicht so gut, und Joe war schon wieder nach Philadelphia gefahren, um seinem Vater in der Reinigung zu helfen. Im Radio lief Curtis Mayfield, die anderen ließen daumendicke Joints herumgehen, und Iris kuschelte sich an mich. Ich hatte das gar nicht im Sinn gehabt, musste nichts tun. Sie kuschelte sich an mich, und ich beugte mich einfach runter und küsste sie. Und hörte stundenlang nicht damit auf. Ich spürte jede Faser meines Körpers. An Joe dachte ich nicht. An Elaine auch nicht. Ich dachte gar nichts.
    Wir haben nie wieder darüber gesprochen, und hätte ich es nicht aufgeschrieben – ich führte wie ein Besessener Tagebuch –, hätte ich später selbst nicht mehr geglaubt, dass das wirklich passiert war. Aber es war passiert. Und wenn es mir nicht gut geht oder ich mir ausmale, welchen Verlauf mein Leben auch hätte nehmen können, dann rufe ich mir ins Gedächtnis, dass Iris mich nie so geliebt, mir nie so vertraut, nie so an mich geglaubt hätte wie Elaine. Rufe mir ins Gedächtnis, dass die Dinge sich auf die einzig mögliche Weise entwickelthaben. Iris hat mich von dem Tag unseres Kennenlernens an immer nur aufgezogen. Elaine dagegen hat mich aufgerichtet.
    Und deshalb kann ich jetzt neben Iris stehen, und von der Sehnsucht nach was auch immer ist so gut wie nichts mehr zu spüren. Das freundschaftliche, nachbarschaftliche Leben, das wir uns aufgebaut haben, würde zerstört, wenn ich mich auch nur noch ein bisschen nach ihr sehnte. Das ist Iris Berg nicht wert. Und deshalb stehe ich in Museen oder sitze ich bei Partys neben ihr, gehe treu zu ihrem Neujahrsbrunch, und auch wenn ich mich noch entsinne, wie es sich angefühlt hat, meine Finger auf den Stellen zwischen ihren Rückenwirbeln zu haben, so habe ich diese Erinnerung trotzdem so weit von mir fortgeschoben, wie es nur eben geht.
    »Was weißt du noch über Rousseau?«, fragte ich sie. Das samstägliche Gedränge um uns herum nahm zu.
    »Er war Zollinspektor«, sagte sie. »Apollinaire hat seine Grabinschrift verfasst. Wir bringen dir Pinsel, Farben und Leinwand, / Damit du malest in der geheiligten Muße des wahren Lichts. Das hat mir immer gefallen. Das wahre Licht.«
    Ich tat, als hätte ich schon von Apollinaire gehört, und nickte beiläufig. Wir betrachteten weiter das Bild, obwohl es für mich darauf nichts mehr zu sehen gab.
    Iris fuhr sich über die Wange. Es wurde warm hier drin, und ihr Gesicht rötete sich, ihre Augen funkelten. Aus dem Augenwinkel sah ich Joe auf sie zugehen und schützend den Arm um ihre Taille legen. Verlegen machte ich einen Schritt zurück.
    »Was meint ihr, noch eine Viertelstunde, und dann machen wir uns auf zum Lunch? Ich glaub, die Meute kriegt Hunger.«
    »Wir haben doch erst für halb zwei reserviert«, murmelte Iris.
    »Dann setzen wir uns an die Bar«, sage Joe. »Dieser Ladenwird doch wohl eine Bar haben, was?« Er gab den Trottel. Tätschelte Iris die Hüfte.
    »Bestimmt«, sagte ich.
    »Gut. In einer Viertelstunde ist Abmarsch.«
    »Klingt gut.«
    »Gefällt dir dieser Kunstkram?«,

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