Die Freundin meines Sohnes
Hochzeit der Renaissance. Es war schwerz zu sagen, worauf diese Wiedergeburt zurückzuführen war: auf Elaines Überleben, ihr neu erwachtes Interesse an sich selbst und ihr Glück oder auf meine tiefe Dankbarkeit, dass sie das Ganze unbeschadet überstanden hatte und mich immer noch liebte, mich brauchte? Ich hatte mir angewöhnt, ihr kleine Geschenke zu machen, von denen ich wusste, dass sie ihr gefallen würden: eine gerahmte Schwarz-Weiß-Fotografie des Central Park, eine große violette Orchidee in einem Topf. Und ich plante Wochenendausflüge nach Neuengland, die Übernachtung in kleinen Pensionen, die Art Reisen, die ich immer gehasst hatte – ich konnte Gemeinschaftsbäder nicht ausstehen –, Elaine aberjetzt für selbstverständlich hielt. Sie schnitt Reiseartikel aus der Times aus und legte sie mir ins Arbeitszimmer; und ich reservierte brav Zimmer und erkundigte mich bei meinen Eltern, ob sie übers Wochenende kommen und auf Alec aufpassen konnten (Alec, der sich immer heftiger gegen Babysitter sträubte, der Fahrstunden nahm, fünf Zentimeter gewachsen war, den Fußball an den Nagel gehängt hatte und sich plötzlich mit den Idioten Shmuley und Dan abgab).
Elaine und ich machten zusammen auch etwas Neues, wovon wir, weil wir uns schämten, nicht einmal Joe und Iris erzählten, geschweige denn unserem Sohn oder unserer Familie. Wir machten es in ungelenker Heimlichkeit, und wenn andere uns fragten, wo wir am Samstagvormittag waren, brummelten wir unsinniges Zeug wie »Zeit für uns« oder sagten »Unterwegs, bloß zum Einkaufen …« Dabei war es so, dass Elaine einen Artikel über eine Synagoge in Park Slope in Brooklyn gelesen hatte und sie ausprobieren wollte. Von uns zu Hause war sie eine gute Autostunde entfernt und lag in einem unübersichtlichen Viertel, in dem wir beide vorher nie gewesen waren. Das Besondere an dieser Synagoge war, dass sie von lauter Überlebenden und Leidenden besucht wurde – sowie von Vegetariern, Lesbierinnen, Äthiopierinnen und Hippies. Die Rabbinerin hatte vor einem Jahr selbst eine Brust verloren. Elaine meinte, wir könnten uns die Synagoge doch mal an einem Samstagvormittag ansehen, wenn ich einverstanden war. Wie sollte ich im Rahmen unserer Renaissance etwas dagegen haben? Seit der Bar Mizwa von Janene Rothmans Tochter zwei Jahre zuvor hatten wir zwar keinen Gottesdienst mehr besucht, trotzdem verließen wir am Morgen, nachdem Elaine den Artikel gelesen hatte, bei Tagesanbruch das Haus und fuhren über zwei Brücken und mehrere Highways zur Synagoge der Überlebenden in Park Slope.
»Willkommen, willkommen«, sagte die Rabbinerin, einekorpulente Frau in einem engen T-Shirt, unter dem sich jede Falte des schwabbeligen Oberkörpers und die Stelle abzeichnete, an der ihre riesige rechte Brust hätte sein sollen. »Ich freue mich so, Sie wiederzusehen«, sagte sie, obwohl wir sie noch nie im Leben gesehen hatten.
»Wo bin ich hier gelandet?«, flüsterte ich meiner Frau zu, die mich kleinlaut ansah und sich durch die Haare fuhr. Am Eingang lagen auf Tischen Exemplare des Alten Testaments, neben der Tür stand ein Korb mit Notenblättern, daneben noch ein Korb mit hässlichen selbstgestrickten Kippot. Ich drückte mir eine auf den Kopf und folgte Elaine zu einem Platz. Ich erblickte jede Menge gesund aussehender Senioren, hübsche junge Menschen und eine nicht unbeträchtliche Zahl von Leuten in den Vierzigern, die diese hässlichen selbstgestrickten Kippot auf dem Kopf und hippe Brooklyner Schuhe an den Füßen trugen. Links von mir saß Elaine, rechts eine wunderschöne Brünette von vielleicht vier- oder fünfunddreißig in einem locker fallenden, vorn und hinten tief ausgeschnittenen Leinenkleid. Als sie sich neben mich in die Reihe zwängte, stieß sie versehentlich mit ihrem Bein an meines, und ich spürte ein angenehmes Kribbeln.
Als mein Großvater noch lebte, besuchten er und Phil und mein Vater und ich in Yonkers die orthodoxe schul in unserer Straße. Elaine besuchte ihre gesamten Kindheit hindurch die orthodoxe schul ihrer Eltern. Die jüdische Liturgie rief uns beiden das Potpourri der Gerüche von alten Gebetsschals und arthritischen Greisen in Erinnerung, uns fiel ein, wie es war, stundenlang zu stehen. Eine Frau als Rabbi? Die Geschlechter gemeinsam in den Bänken? Grellbunte Poster – NIMM EIN KONDOM, RETTE EIN LEBEN – in der Eingangshalle? Alle älteren Juden, die wir je kannten, hätten auf dem Absatz kehrtgemacht und wären gleich wieder
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