Die Friesenrose
Den Knüppel, der sich darin befand, ließ er betont langsam von einer Hand in dieandere gleiten. Dabei kam er näher und näher, und ich fühlte mich wie ein Tier in der Falle.
„Du weißt, dass ich nicht schwimmen kann‘, brachte ich in Todesangst hervor.
„Natürlich‘, höhnte er. ,Aber es wäre mir ganz lieb, wenn du nicht sofort ins Wasser springen würdest. Ich genieße es durchaus, dich zuvor noch schreien und flehen zu hören. Ertrinken kannst du später immer noch.‘
Und als ob ihm gerade jetzt wieder einfiel, warum ich zu so früher Stunde unterwegs war, fügte er, als spräche er zu einem uneinsichtigen Kind, hinzu: ,Siehst du, Tjalda, ich muss dich einfach bestrafen. Du hast dich meinem Willen widersetzt und wolltest mich verlassen. Das kann ich dir nicht erlauben.‘
Seine Augen sogen gierig die Todesangst in meinem Gesicht auf. Ich sah, wie seine Blicke über meinen Körper fuhren, dorthin, wo er den Knüppel treiben wollte. Mir drehte sich der Magen um, und ich wandte ihm verzweifelt den Rücken zu. Hans würde mich also umbringen und dann in die Fluten werfen. Was sollte, was konnte ich tun, um mich aus dieser verzweifelten Lage zu befreien? Vor mir das Wasser, hinter mir der Mörder. Ich versuchte mit einem halbherzigen Sprung zur Seite auszubrechen, doch Hans war trotz seines schweren Körpers behände, umfasste mit der freien Hand meine Taille und warf mich zu Boden. Ich wehrte mich verzweifelt, und für einen kurzen Moment verlor er den Knüppel und die Oberhand über mich. Dann aber umfassten seine Hände meinen Hals. Er schwang sich auf meinen Körper und würgte mich. Ich versuchte, ihn fortzustoßen, doch sein Gewicht war zu groß. Mir wurde schwindelig, und ich wusste, dass mir der Luftmangel nicht mehr viel Zeit ließ. In aufwallender Panik ruderte ich mit den Händen wie wild über denBoden, und plötzlich befand sich wie durch ein Wunder der Knüppel in meiner Rechten. Hans war vollkommen damit beschäftigt, seine Wut an mir abzureagieren. Deshalb achtete er nicht auf das, was ich tat, bis ihn der Knüppel mit aller Wucht, die ich in den Schlag hineinzulegen vermochte, am Kopf traf. Mit einem Fluch ließ er von mir ab. Leicht schwankend erhob er sich, doch die Wirkung des Schlages ließ schon nach, bevor sich meine Füße in Bewegung setzen konnten, um zu fliehen. Erneut hatte mich dieser Mistkerl gepackt. Ich kämpfte mit letzter Kraft gegen ihn, doch er lachte nur, ergriff mein Handgelenk und zwang mich, den Knüppel fallen zu lassen. Da wusste ich, dass alles verloren war. Ich gab jeglichen Widerstand auf und ließ mich schlaff zu Boden fallen. In diesem Moment der Überraschung verlor mein Gegner das Gleichgewicht, er stolperte und fiel der Länge nach zu Boden. Sein Hinterkopf schlug mit voller Wucht auf die Pflastersteine. Reglos lag der Mann vor mir, den ich in diesem Augenblick mehr hasste als sonst irgendjemanden auf der Welt. Er hatte mich erniedrigt und mir Gewalt angetan. Durch seine Brutalität war mein Kind noch vor seiner Geburt zum Tode verurteilt gewesen. Er hatte mir die Freiheit genommen und versucht mich umzubringen! In meiner Umnachtung war es mir nicht genug, ihn für kurze Zeit besiegt zu sehen. Ich hätte aufspringen und fliehen sollen, weit, weit fort. Doch mein Wollen zielte auf etwas anderes ab. Zum ersten Mal in meinem Leben verspürte ich den Wunsch zu töten. Ich wollte diesen Menschen töten und griff nach dem Knüppel. Wieder und wieder schlug ich auf Hans ein. Niemals zuvor und niemals danach habe ich körperliche Gewalt ausgeübt. Aber ob ihr es glaubt oder nicht, damals habe ich jeden Schlag genossen. Als mein Verstand dann wieder einsetzte, war Hans tot. Ich weiß nicht, ob durch meine Schläge oder durch den Aufprall zuvor. Niemand wird mir diese Frage jemals beantworten können. Genauso wenig wie mir niemand jemals die Schuld dafür nehmen kann.“
Atemlos hatten die Freundinnen ihr gelauscht. Nun sprang Inken auf und griff erregt nach Tjaldas Hand. „Aber es war Notwehr! Was hättest du sonst tun sollen? Was wäre denn geschehen, wenn er nach dem Sturz wieder aufgestanden wäre? Du oder er, nur einer von euch konnte überleben. Und dieser Schuft hatte sein Leben schon lange durch seine Taten verwirkt. Tjalda, du hast das einzig Richtige getan. Sei froh, dass dein Hass dir die Kraft dazu gab. Du musst dir nur verzeihen. Bist du dir auch wirklich sicher, dass er tot war?“
Tjalda blickte in die Ferne. „Ja. Ich legte meine Hand auf seine
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