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Die Friesenrose

Die Friesenrose

Titel: Die Friesenrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Oltmanns
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leise. „Ach, Inken, was war ich verzweifelt! Zu der Trauer um meinen Vater kam noch der Verlust meines bisherigen Zuhauses. Wohl wissend, dass ich es verlassen musste, konnten sich meine Augen nicht sattsehen an den Zimmern mit all ihren Möbeln aus matt schimmerndem Holz, den Gemälden, Teppichen und dem alten Porzellan. Mein altes Leben gab es nicht mehr, ich war nur noch voller Trauer und stand ganz allein auf der Welt. Nach einer durchwachten Nacht beschloss ich, heimlich fortzugehen. Es gab keinen anderen Weg, um Hans zu entkommen. Rosas Familie kam aus Holland, das wusste ich, und nach dort wollte ich mich orientieren. Der Verkauf des Hauses mit seinem gesamten Inventar würde reichen, um Vaters Schulden zu decken, und ich leitete heimlich und schnell alles Notwendige in die Wege. Allein das Gemälde mit dem Schiff meines Vaters undein Bild, das uns beide zeigte, behielt ich und brachte es bei einer Nachbarin unter. Papiere und Wertsachen waren schnell zusammengesucht. Rosas Suppenkelle verschwand in meiner Reisetasche, neben Kleidung und Schuhen. Auch ein kleines Kästchen voller Andenken begleitete mich. Es enthielt eine Haarlocke meiner Mutter, ein Püppchen aus Porzellan und einen Affen aus Holz, den mir Vater einst aus einem fernen Land mitgebracht hatte. In einer Nacht- und Nebelaktion wollte ich verschwinden, hatte die Rechnung jedoch ohne Hans gemacht. Vielleicht war es so, dass er meine Angst witterte, mein Vorhaben erahnte. Hans kam mir manchmal wie ein Raubtier vor. Doch in der Stunde meiner Flucht wähnte ich mich noch in Sicherheit.
    Es war an einem sehr frühen Morgen, fast noch Nacht, im November. Ich hatte gefrühstückt und mich mit zwei Tassen Tee gegen die kalte Morgenluft gewappnet. Zitternd, und das nicht nur vor Kälte, machte ich mich zu Fuß auf den Weg in ein neues Leben. Ohne einen Blick zurückzuwerfen, schritt ich immer nur weiter geradeaus, bis ich von dem Wunsch, noch einmal zum Hafen zu gehen, überwältigt wurde. Wieder und wieder versuchte mein Verstand mich davon abzuhalten. Es war dunkel, und ich würde das Wasser eh nicht deutlich erkennen. Warum also nicht gleich zum Droschkenplatz gehen? Doch als der Mond hinter den Wolken hervorkam, fanden meine Füße wie von selbst ihren Weg zum Hafen.“
    Für einen Augenblick verstummte Tjalda und lauschte in sich hinein. Sie brauchte nur die Augen zu schließen, und jener denkwürdige Morgen stand wieder in aller Deutlichkeit vor ihr. Da waren die Gerüche nach Salz, Teer, Hanf und Fisch. Die Stille der Nacht wurde nur von den Schiffen, die in ihren Träumen knarrten, unterbrochen. Doch mit der Stille war es schnell vorbei gewesen. Tjalda atmete einmal schweraus. Ob es ihr gelingen würde, das, was geschehen war, in Worte zu fassen? Sie öffnete den Mund, doch kein Wort wollte ihr über die Lippen kommen. Und so nahm sie einen Schluck Tee und versuchte es erneut. Ihre Stimme zitterte.
    „Ich wollte nur Abschied nehmen von meinem alten Leben, aber auf der Kaimauer trat mir Hans in den Weg. Er war mir gefolgt. Wut stand in seinen Augen, als er mich begrüßte. ,Ach, meine entzückende Tjalda will verreisen. Und das ohne ihren Geliebten?‘ Ich erschrak zu Tode. ,Du kannst mich nicht aufhalten‘, schrie ich ihm mit mehr Mut, als ich hatte, entgegen. Bis mein Verstand einsetzte und eine lähmende Angst mich aufzufressen drohte. Ich versuchte an ihm vorbeizukommen, aber Hans ließ es nicht zu und drängte mich immer mehr in Richtung Wasser. Aus Angst, Hans würde in seinem Zorn meine wenigen Habseligkeiten fortwerfen, ließ ich mein Gepäck ins Gebüsch sinken. Er sah es, lachte aber nur. ,Daran liegt mir nichts. Aber dich will ich schreien hören. Dachtest wohl, du könntest mich zum Narren halten.‘ Meine Panik wuchs in gleichem Maße, wie seine Wut zunahm. Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich, entgegen seiner Annahme, nicht reich war und er mich doch gehen lassen solle. Doch Hans hörte mir gar nicht zu, und ich merkte, dass er getrunken hatte. Das verstärkte noch meine Furcht, denn Alkohol machte diesen Kerl unberechenbar. Weiter und immer weiter trieb er mich, und schon hörte ich ganz nah die Wellen an die Kaimauer schlagen. Plötzlich dämmerte mir, dass mich dieser Mann umbringen wollte, weil ich mich nicht an seine Spielregeln gehalten hatte. Hans sah meinen Plan, meine Flucht, als großen Verrat an und würde sich rächen. Als ob er meine Gedanken gelesen hätte, zog er lässig eine Hand hinter seinem Rücken hervor.

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