Die Friesenrose
heruntergebrannt und die Menschen vom Schlaf umfangen.
Das nächtliche Treffen mit Inken in der alten Holzkirche auf dem Grabhügel war Jebbedines Idee gewesen. „Dort wird dich niemand zu Gesicht bekommen. Außer an den Sonntagen ist das Gotteshaus menschenleer. Und da Eggo Lübbers abends gerne einen über den Durst trinkt, mag die Nacht auch für Inken die richtige Zeit sein, um seinen Argusaugen entkommen zu können.“
Jebbedine hatte ihm von Eggos Charakter erzählt, und nur mit Mühe war es ihr gelungen, ihn davon abzuhalten, Inken sofort aus den Fängen ihres Onkels zu befreien. Wut stieg erneut in ihm auf, wenn er an Jebbedines Schilderungen dachte. Doch sie hatte Recht! Er konnte es sich nicht erlauben, seinem Verlangen nachzugeben. Er konnte Inken nichts bieten, nicht einmal ein Versteck!
Bitterkeit stieg in Cirk auf. Was wollte er hier überhaupt? Sein Anblick würde Inken nur verwirren. Wie hatte er nur annehmen können, dass sie sich so einfach von seinen Gefühlen für sie überzeugen lassen würde. In seinen Träumen hatte es keinerlei Zweifel gegeben und keiner Worte bedurft. Inken hatte sich in seinen Augen verloren und war dann in seine Arme gesunken. Doch so würde es nicht sein, das wusste er. Was wollte, was konnte er ihr eigentlich sagen? Hier bin ich, weil ich dich liebe? Bitte erwidere meine Liebe, sonst kann ich nicht mehr leben? Das war doch lächerlich! Sie würde ihn für verrückt halten, ihm nicht glauben, ihn vielleicht sogar auslachen. Wie hatte er nur so selbstverständlich davon ausgehen können, dass sie etwas für ihn empfand? Nun, da der Augenblick, von dem er so lange geträumt hatte, gekommen war, kam ihm alles so falsch und unüberlegt vor. Doch es war zu spät für Grübeleien.
In der Nacht zuvor hatte Cirk schlecht geschlafen. Immer wieder war er aus einem Traum erwacht, der sich als Albtraum herausstellte. Von seinem Schiff aus hatte ihn eine schöne Meerjungfrau mit Inkens Zügen und langem, rotem Haar mit erhobenen Armen ins Meer gelockt. Er war ihrer Bitte nur zu gerne nachgekommen. Aber in dem Augenblick, wo er sie in den Armen gehalten hatte, war das Meerwesen höhnisch lachend davongeschwommen. Cirk schrie, und Wasser füllte seine Lungen. Er wollte Inken festhalten, aber eswar nur Seetang in seinen Armen zurückgeblieben und er selbst sterbend auf den Grund des Meeres gesunken.
Cirk erschauderte in der kühlen Nacht und schob dies seinen schwachen Nerven, seiner bösen Vorahnung und allem anderen, was ihn quälte, zu. Zitternd sank er auf eine der Kirchenbänke nieder. In der Stille um ihn herum ließ das Hämmern in seinem Kopf nach. Eine Weile verharrte er so, bis das leise Knarren des trockenen Holzes der Kirchenbank ihn hochfahren ließ. Er durfte sich nicht in seinen düsteren Gedankengängen verlieren.
Entschlossen stand er auf und schritt zu dem schlichten Altar, auf dem neben dem Abendmahlkelch ein Kerzenleuchter stand. Der eiserne Fuß des Leuchters schrammte leicht über den Altartisch, als Cirk ihn mit zitternden Händen zu sich heranzog und eine Kerze anzündete. Lange verfingen sich seine Augen in dem Kranz aus Licht, und schließlich wurde er wieder etwas ruhiger.
Wie viele Menschen mochten in dieser Kirche schon um die Erfüllung ihrer Wünsche und Hoffnungen gefleht haben? Cirk trat seufzend ans Fenster und blickte in die Dunkelheit. Geduldig wartete er. Und dann, endlich, sah er Inkens Gestalt im Mondlicht mit zögernden Schritten auf den kleinen Seiteneingang zukommen, den sonst nur der Prediger benutzte. Inken trug keine Lampe bei sich. Ohne das Licht des Mondes wäre ihre Gestalt, umhüllt von einem schwarzen Umhang, völlig mit der Dunkelheit verschmolzen. Cirk wandte sich vom Fenster, trat zurück zum Altar und blickte auf die Tür.
Langsam betrat Inken das Gotteshaus. Ihre Schritte hallten in der Kirche wider. Licht ergoss sich durch ein Fenster und fiel auf ihr Gesicht. Kreidebleich war sie, und ihre Augen blickten verwirrt und ungläubig. Ihr Schritt stockte, als sie ihn sah, und ihre Finger verkrampften sich im Stoff ihresUmhangs. Einen Augenblick lang glaubte Cirk sogar, sie würde sich umdrehen und davonlaufen. Doch dann ging Inken weiter über die Steinfliesen auf ihn zu. Ihr Mantel raschelte weich über den Boden. Vor dem Altar hielt sie an. Das Kerzenlicht tauchte ihr Gesicht in ein warmes Licht, und Cirks Herz tat einen Sprung. Er brauchte sie nur anzusehen, und all seine Gefühle brachen sich Bahn. Inken war ihm so nah und
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