Die Friesenrose
gleichzeitig doch so fern. Wie gerne hätte er sie einfach in die Arme genommen, aber er holte tief Atem und riss sich zusammen. Seine Augen hielten sich an den wenigen Holzbänken und dem schmalen Gang dazwischen fest.
Auch Inken vermied, ihm direkt in die Augen zu sehen. Sie sah an ihm vorbei auf den Altar und auf das leichte Flackern der einsamen Kerze, während sie nach den richtigen Worten suchte.
„Ich...“ – ihre Stimme klang brüchig – „... ich sollte nicht hier sein. Es ist gefährlich, den Unmut meines Onkels herauszufordern.“
„Das weiß ich.“ Wärme schwang in seinen Worten mit. „Und ich danke dir, dass du trotzdem gekommen bist.“
Cirk versuchte ein Lächeln. Wie anders Inken heute aussah als an jenem denkwürdigen Abend ihres ersten Zusammentreffens. Er hatte sie schon damals als schön empfunden. Aber hier im Mondlicht vor den kargen Holzbänken sah sie einfach atemberaubend aus. Ihre Haare lösten sich aus einem widerspenstigen Zopf, auf dessen Fülle das Mondlicht rotgoldene Punkte zauberte. Doch die Veränderung betraf nicht nur ihr Äußeres. Es war Cirk, als hätte Inken zusammen mit der Männerkleidung einen Teil ihres aufbrausenden Wesens abgelegt. Sanft wirkte sie, gereifter und fraulicher. Aber vielleicht hatten auch die Jahre unter dem Dach ihres tyrannischen Onkels Spuren bei ihr hinterlassen.
„Ich habe nicht erwartet, dich hier im Moor wiederzusehen.“ Inkens Worte rissen ihn aus seiner Betrachtung. Das Du war ihr ganz selbstverständlich über die Lippen gekommen.
Cirk räusperte sich. „Ich habe es selbst nicht erwartet. Zumindest mein Verstand riet davon ab. Doch“ – er zuckte mit den Schultern – „mein Herz wollte es so. Ich hatte Zeit genug, um über mein Tun nachzudenken.“
„Dein Herz?“ Ungläubig blickte sie ihn an.
Cirk atmete tief ein und wappnete sich. „Ja, mein Herz“, sagte er fest und schaute sie unverwandt an. „Ich musste dich einfach wiedersehen, Inken.“
Inken sah ihn zweifelnd an, und eine zarte Röte stieg ihr ins Gesicht. „Du hättest nicht kommen sollen.“
„Warum nicht?“ Noch immer ließ er sie nicht aus den Augen.
„Ich ...“ Sie stockte. „Ich weiß nicht, was ich von deinen Worten halten soll.“ Verzweiflung stahl sich auf ihr Gesicht. „Was willst du eigentlich von mir? Das, was dein Mund und deine Augen mir sagen, kann ich einfach nicht glauben. Heute suchst du nach mir, morgen vielleicht nach einer anderen Frau. Ich habe wenig Erfahrung mit Männern.“ Sie blickte ihn fest an. „Doch das, was ich bei unserer ersten Begegnung von dir kennen gelernt habe, kann ich sehr wohl deuten. Du brauchst mir nicht zu erzählen, dass ich der Grund für dein Auftauchen im Moor bin. Jebbedine erzählte mir heute Morgen von deiner Zeit in England und auch, dass du dich weiterhin verstecken musst. Gib zu, dass du deshalb hierhergekommen bist. Und nun suchst du mich auf, um mich zu verwirren und um dir einen Spaß mit mir zu machen. So wie damals vor dem Gasthof. Glaubst du etwa, es genügt ein Wort von dir, damit ich dir die Wartezeit bis zum Ende des Kriegesversüße?“ Sie war immer wütender und lauter geworden, bis ihre Stimme schließlich von den Kirchwänden widerhallte. Cirk berauschte sich daran, dass Inken ihr Temperament nicht verloren hatte. Doch was sie sagte, tat ihm weh.
„Inken, so ist es nicht!“ Beunruhigt suchte er nach den richtigen Worten. „Dein Bild von mir ist so falsch wie Schnee im Sommer. Ich bin nicht der leichtlebige zügellose Mann, den du in mir siehst.“ Er hob die Hände, wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Den du zwangsläufig in mir sehen musstest nach unserer letzten Begegnung, das ist mir klar.“ Nervös fuhr Cirk sich durchs Haar. „Doch was ich dir von mir gezeigt habe, war nur eine Maske, eine Hülle. Der wahre Cirk steht hier und jetzt vor dir und konnte einfach nicht in den Krieg ziehen, ohne dich vorher noch einmal gesehen zu haben. Alles, woran ich die letzten zwei Jahre denken konnte, bist du. Diesen Zustand kenne ich nicht, habe ich nie zuvor gekannt. Zeit meines Lebens bin ich ziellos umhergewandert. Verpflichtungen und Bindungen habe ich gemieden wie ein Seemann das Riff. Aber jetzt ist alles anders.“ Er rang mit sich. „Weißt du, es ist alles so neu für mich. Ich kann mit diesen Gefühlen noch nicht so gut umgehen und weiß nicht, ob es richtig ist, sie dir einfach zu gestehen.“ Er schloss die Augen, und seine Stimme wurde leiser. „Ich liebe
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