Die Friesenrose
Stadtoberhäupter bei ihr die Hörner abgestoßen hatte.
„Tja, und dann musste er mir das Dreifache zahlen.“ Tjalda beugte sich triumphierend zu Inken, die sich bequem in einen der gepolsterten Stühle gekuschelt hatte. Ihre Füße ruhtenauf einem Hocker, und in der rechten Hand balancierte sie eine Tasse Tee.
„Das Dreifache, stell dir vor, und nur, weil er mir nicht glauben wollte. Hat einen Tanz aufgeführt wie ein wild gewordener Stier, aber genutzt hat es ihm nichts. Unterschrieben ist unterschrieben. Da habe ich an einem Tag 23 Stüber verdient, so viel wie ein Schiffbauer in einem Jahr.“
Bewunderung stand in Inkens Augen. „Weißt du, Tjalda, manchmal bedaure ich die Männer geradezu, die an dich geraten. Du wirkst so“ – sie zögerte einen Augenblick – „unbedarft, so, als könnest du kein Wässerchen trüben. Dabei bist du gewitzter und weißt besser Bescheid über Geld als der schlitzohrigste Geschäftsmann dieser Stadt. Dass sich die Männer überhaupt noch hierher trauen, wundert mich.“
Tjalda verzog spöttisch den Mund. „In der Öffentlichkeit beschimpfen sie die Geldverleiherin, aber heimlich findet manch einer den Weg zu mir. Wenn ich das Geld der feinen Herren vermehren kann, wissen sie plötzlich nichts mehr von all den vorangegangenen bösen Worten und Verleumdungen.“
Inken zog die Füße an sich heran und stellte ihre Tasse mit Schwung auf dem Tisch ab. Schon seit drei Wochen lebte sie als Gast in Tjaldas Haus und fühlte sich so wohl wie lange nicht mehr. Keine zerrissene Kleidung, kein karges Mahl. Niemand, der die Hand oder das Wort gegen einen erhob. Langsam wurde die Zeit im Moor zunehmend Vergangenheit und Tjalda und ihre Geschäfte Gegenwart. Die Geldverleiherin wirkte inmitten der Brandung des Lebens wie ein starker Fels. Sie besaß Herz und einen Verstand, der Inken beeindruckte. Innerhalb der letzten Wochen hatte sie viel von ihr gelernt – mehr als in ihrem ganzen bisherigen Leben. Darüber, was Zahlen bedeutenkonnten. Wann man sich bei Investitionen vorwagen und wann man sich lieber zurückhalten sollte.
Worauf es ankam, beim Geldanlegen oder -verleihen. Tjalda wusste mit einem Blick, ob ein Mensch ehrlich und aufrecht war oder ein Taugenichts, der sie übers Ohr hauen wollte. Und in solchen Situationen erkannte Inken auch, wie hart und unbarmherzig Tjalda sein konnte, wie sehr sie Lügen und Betrügereien hasste.
„Doch für die Menschen, die Zugang zu ihrem Herzen gefunden haben“, dachte Inken, „würde sie durchs Feuer gehen.“ Ein warmes Gefühl der Zuneigung durchflutete sie. Wie gut, dass sie zu Tjaldas Freunden zählte, sie und natürlich auch Cirk, der zu ihrem Bedauern noch nicht zurückgekehrt war. Ohne dass sie es sich eingestand, war Cirks Abwesenheit bei ihrer Ankunft ihre größte Enttäuschung gewesen. Dabei hätte sie damit rechnen müssen, dass er sich dem preußisch-russischen Heer gegen Napoleon anschloss. Angst überkam sie. Was, wenn er jetzt, wo der Kaiser bald besiegt war, noch auf dem Schlachtfeld bleiben würde? Sofort verbot sie sich diesen Gedanken, genauso, wie sie sich auch jeden Gedanken an ihren Vater verbot. Für einen Augenblick schloss sie die Augen. Was mochten drei Jahre Gefangenschaft ihm angetan haben? Welche Sorgen musste er um sie ausgestanden haben. Wann würde er endlich nach Hause zurückkehren? Wenn er überhaupt zurückkehren würde. Inken holte tief Luft und schob die dunklen Gedanken entschlossen zur Seite.
Tjalda legte ihr eine Hand auf den Arm. Ein Lächeln lag um ihren Mund und verlieh ihrer entschlossenen Miene eine ungewohnte Sanftheit. „Mein Kind, ich habe viel über dich nachgedacht. Darüber, was du jetzt tun solltest. Warum steigst du nicht in den Geldhandel ein, zumindest, bis deinVater aus der Gefangenschaft heimkehrt. Ich brauche dringend eine rechte Hand, und du hast dich nicht schlecht angestellt in den letzten Wochen.“
Inken ergriff Tjaldas Hände. „Ich danke dir für deine Großzügigkeit.“
Tjalda winkte ab. „Das hat nichts mit Großzügigkeit zu tun. Ich brauche wirklich Hilfe.“
Ihre energisch vorgebrachten Worte zauberten ein Lächeln auf Inkens Gesicht. „Ich weiß noch nicht so genau, was ich mit mir und mit dem Geld, das du für mich angelegt hast, anfangen möchte. Es ist schwer zu erklären, aber irgendwie bin ich noch auf der Suche“ – sie runzelte die Stirn – „nach dem, was ich am besten tun sollte.“
Tjalda drückte beruhigend ihre Hände. „Du hast alle
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