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Die Frucht des Bösen

Die Frucht des Bösen

Titel: Die Frucht des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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entspannte mich ein wenig.
Denk nach, denk nach.
    Die Sergeantin und Greg waren offenbar der Meinung, dass Andrew mich begehrte. Konnte ich das für mich nutzen? Ihn dazu bringen, mir die Fesseln abzunehmen?
    Die Schritte kehrten zurück, wurden lauter, und ehe ich mir etwas ausgedacht hatte, flog die Kofferraumhaube auf. Andrew schwebte über mir. Es war dunkel; ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, spürte aber seinen Blick.
    «Verstehst du jetzt?», fragte er.
    Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Der Knebel scheuerte über meine Lippen.
    «Wenn nicht jetzt, dann schon sehr bald. Es wird Zeit, dass du dich deiner Vergangenheit stellst, Danielle. Darauf dränge ich schon lange, aber du ignorierst mich. Also muss ich drastischere Maßnahmen ergreifen. Deshalb sind wir hier. Fünfundzwanzig Jahre später. Auf den Tag genau. Höchste Zeit für dich, deinen Horizont ein bisschen zu erweitern.»
    Er packte mich bei den Schultern und hievte mich in die Höhe. Ich schrie in den Knebel, plötzlich hellwach. Der Schrei erstickte und drohte, meine Kehle zu zerreißen. Andrew grunzte zufrieden.
    «Du musst deine Sinne aktivieren», sagte er betulich und griff mir unter die Arme, um mich aus dem Kofferraum zu zerren. «Lass ab von deinen Vorurteilen und öffne dein Herz. Er wird dich finden. Er versucht seit Jahren, Kontakt mit dir aufzunehmen.»
    Er setzte mich auf dem Asphalt ab.
Nichts wie weg
, dachte ich, obwohl die Beine unter mir nachgaben und ich meinem Entführer in die Arme fiel. Er warf mich mühelos über seine Schulter. Ich versuchte, mit den Beinen auszutreten, bekam sie aber nicht in Schwung.
    Andrew trug mich auf ein großes Haus zu, das ich noch nie gesehen hatte. Er stieß die Eingangstür auf und betrat einen dunklen Vorraum.
    «Liebling, ich bin zu Hause», rief er.
    Ich hörte, wie weiter oben eine Frau zu schluchzen anfing.
     
    Die Erinnerung ist etwas Seltsames. Mein ganzes Leben wurde von einem Vorfall beherrscht, der, wie ich bis heute annahm, nicht länger als vierzig Minuten gedauert haben mochte. In meiner Erinnerung hielt mein Vater die Pistole, mit der er dann nicht mich, sondern sich selbst erschoss. In meiner Erinnerung.
    Andrew nahm den Knebel aus dem Mund. Ich wollte laut aufschreien, doch er presste mir einen Finger auf die Lippen.
    «Psst, denk an Evan, seine Mutter und seinen Vater. Du willst doch nicht, dass ihnen etwas passiert.»
    Ich schloss den Mund und starrte Andrew an. Er hatte mich ins Obergeschoss geführt, und wir standen jetzt in einem rosa gestrichenen Zimmer, das vermutlich einem jungen Mädchen gehörte. Das Bett war unbenutzt und von dem Mädchen nichts zu sehen. Ich hoffte, dass es sich in Sicherheit befand. Doch dann kam mir der Gedanke, dass das Zimmer vielleicht eigens für mich so hergerichtet war.
    Schweigend musterte ich Andrew und kam mir dabei vor wie eine Maus, die, von einer Katze in die Ecke gedrängt, verzweifelt nach einem Fluchtweg spähte.
    «Was soll das alles?», fragte ich. Mein Mund war vollkommen ausgetrocknet, und das Schlucken brannte wie Feuer.
    Andrew legte seine Taschenlampe zwischen uns auf dem Boden ab. Wenn ich sie zu fassen bekäme, könnte ich ihn womöglich mit einem Schlag gegen die Schläfe niederstrecken, aber meine Hände waren immer noch auf den Rücken gefesselt. Er hatte mir nur die Fußfesseln gelöst, damit wir einander im Schneidersitz gegenübersitzen konnten. Ich lehnte mit dem Rücken an einer breiten Fensterfront. Er saß zwischen mir und der Schlafzimmertür.
    Das Schluchzen war nicht mehr zu hören. Eine gespenstische Stille hatte sich ausgebreitet, die mir mehr Angst machte als jedes Geräusch. Schlimme Dinge passierten meist in solcher Stille.
    «Evan ist eine alte Seele», hob Andrew an.
    Solche Sprüche kannte ich von ihm. Also täuschte ich Verständnis vor und nickte mit dem Kopf.
    «Er ist überempfindlich und voller Negativität. Andere, grausame Seelen suchen ihn in seinen Träumen heim. Sie schleichen sich ihm auch bei Tag ins Bewusstsein und verleiten ihn dazu, Böses zu tun. Es ist unerträglich, so zu leben. Dieser Junge kämpft gegen unsichtbare Feinde.»
    Ich nickte, als würde ich ihm zuzustimmen.
    «Er ist nicht der Einzige, der sich auf diese Weise quälen muss, Danielle. Andere Seelen stecken in ähnlichen Abgründen. Es gelingt ihnen nicht, in diese Welt zurückzukehren, um neue Erfahrungen zu machen. Sie sind gefangen in der Düsternis eines unerledigten Auftrags, in der Hölle, wie sie von Dichtern wie

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