Die Frühreifen (German Edition)
Aramentis ab –, flüsterte er seinem Freund ins Ohr, es ginge das Gerücht um, daß Gaby Gurlitch diesem Schweinehund Dany ihr Dope in natura bezahle. Sie saßen am Rand der Plattform, als befänden sie sich auf dem Vorderdeck eines Schiffs, dessen schöner Bug im Mondschein die Fluten teilte, und starrten geradeaus in die immer undurchdringlichere Dunkelheit, auf die Lichter am Horizont. Man hörte Wildenten, die am Himmel kreisten, Äste, die mit sanfter Schwermut knarrten.
»Das ist totaler Quatsch«, erwiderte Evy mit ruhiger Stimme.
»Hey, das ist kein Quatsch. So bezahlt sie ihn, ob dir das paßt oder nicht.«
»Ich möchte mal gern wissen, warum alle es darauf absehen, sie schlechtzumachen. Das möchte ich doch mal gern wissen. Soll ich deswegen vielleicht meine Meinung über sie ändern?«
Wem würde das schon gelingen, wer könnte sich dessen rühmen, dachte Andreas, der schon die Episode mit Lisa erlebt hatte und wußte, wie verblendet Evy sein konnte, wenn es ihn packte – und dessen verborgene Natur kannte, die allem Anschein zum Trotz total überspannt war. Wenn er etwas nicht sehen wollte, konnte ihm nichts auf der Welt die Augen öffnen – und wenn er Gaby Gurlitch ebenso verehrte wie seine Schwester, dachte Andreas gereizt und zugleich resigniert weiter, dann sah es schlecht aus.
Er legte Evy die Hand auf die Schulter und erklärte mit sybillinischer Miene – aber er hatte gerade etwas geraucht –, daß die einzige Pflicht, die sie hätten, darin bestände, sich zu schützen.
Später, als die Mädchen mit ihren Vorbereitungen fertig waren – auf die Feten bei den Aramentis kamen im allgemeinen hauptsächlich Künstler, und das bedeutete eine große Anzahl zahlungskräftiger Verbraucher illegaler Ware –, stiegen sie von der großen Roteiche hinab und verließen im Gänsemarsch den Wald, Anaïs als letzte.
André Trendel hatte sich bereits piekfein gemacht. Nachdem sie seinen Enkel wieder zur Vernunft gebracht hatten, empfing André sie ausgesprochen liebenswürdig, und häufig rannte er sogar zum Kühlschrank, um ihnen eine Limonade anzubieten, erkundigte sich nach ihrem Befinden und ob in der Schule alles gut liefe.
Die unerquickliche Begebenheit zwischen Laure und Evys Großvater, von der ich berichtet habe, hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht stattgefunden, und daher war die Atmosphäre noch nicht allzu gespannt. Vermutlich hatte André die Situation nicht gerade verbessert, als er ohne weiteres den Bau eines Fitnessraums in die Wege geleitet hatte – was für eine lächerliche Handlung, was für ein Ausdruck von Panik, von Ohnmacht, von Verwirrung spiegelte sich darin wider –, schließlich war es etwas, um das ihn niemand gebeten hatte. Vermutlich hatte er nur Scherereien, Lärm, Hin- und Hergerenne, Hammerschläge und so weiter verursacht, auf die im vorliegenden Fall die anderen gern verzichtet hätten, aber ihm blieb noch die eine oder andere Chance, den letzten Bewohnern dieses Hauses nicht unerträglich zu werden.
Richard hatte sich vor gut vierzehn Tagen verkrümelt, und André hielt gewissermaßen den Atem an, um imstande zu sein, die ersten Anzeichen dafür zu entdecken, daß sich die Schmerzenswogen glätteten, die in diesem Jammertal ungeahnte Höhen erreichten. Da er schon mal die Arbeiten im Auge behalten mußte, überwachte er gleichzeitig seine Schwiegertochter, die jeden Tag in die Aufnahmestudios fuhr und bemerkenswerten Mut bewies – einen Mut, den er und Rose schon bei anderen Gelegenheiten hoch gelobt hatten, als der Flüchtige noch ein verantwortungsloser Junkie war, den er angespuckt hatte, was er heute im Hinblick auf seinen erneuten Verrat nicht bedauerte. Er überwachte auch Evy, diesen armen Jungen, der weder Vater noch Freundin mehr hatte – diese beiden Dinge hingen noch dazu miteinander zusammen – und der sich weigerte, wenigstens den Schulpsychologen aufzusuchen oder mit seiner Familie darüber zu sprechen.
Er war entzückt darüber, daß auch sie zu dem Fest gingen – was ihn selbst betraf, so hatte Marlène Aramentis, die Mutter der magersüchtigen Kleinen, die sich gerade der Länge nach auf das italienische Sofa hatte fallen lassen, ohne dabei die herrliche Vase umzuwerfen, die Rose und er aus Sankt Petersburg mitgebracht hatten und gerade diese herrlichen Purple-Rain-Freesien enthielten, die den ganzen Raum mit Wohlgeruch erfüllten, Marlène Aramentis also hatte ihn angerufen und persönlich eingeladen. Er war entzückt. Überzeugt
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