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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Befriedigung erfüllte. Der Rest war nur noch Kleinkram.
    Er rollte ihr Haar in ein Handtuch. Er trocknete ihr die Arme, die Schultern, die Knie ab. Sie phantasierte, sprach Worte aus, die er nicht verstand.
    Er spürte ganz kurz, wie fest ihre Brüste waren, als er mit dem Handtuch darüberstrich. Auch wenn Rose in der letzten Zeit eine Schwäche für in ihrem Alter etwas lächerlich wirkende durchsichtige Kleidungsstücke zeigte – das waren so Dinge, die man ihr in ihrem Fitnessclub beibrachte, wo man ihr im übrigen auch DHEA verkaufte –, kam sie daran natürlich nicht heran. Er selbst hatte ganz faltige Haut, sein Geschlechtsteil hing die meiste Zeit leblos herab und sein Hintern war schlaff.
    Aber was ihn am meisten verblüffte, was er bisher anzusehen vermieden hatte, war diese Spalte, dieser rasierte Venushügel, der ihn jetzt erstarren ließ, so daß er wie angewurzelt stehenblieb. Als Laure plötzlich aus unbekannten Gründen zu einem Zeitpunkt, da niemand damit rechnete, die Schenkel spreizte, hatte sie das Ding in seiner ganzen Pracht offenbart, und das hatte ihn buchstäblich gelähmt, als hätte ihn der Blitz getroffen.
    Er stand regungslos da wie eine Statue. Über sie gebeugt. Mitten bei der Arbeit erstarrt, dabei wollte er ihr nur die Schenkel etwas abtrocknen – ja, so etwas kann also geschehen, wenn ein Mann vom Schicksal heimgesucht wird, so etwas kann geschehen, wenn sich ein Mann auf eine harte Prüfung einläßt.
    Aber was für ein Schmerz zugleich! Was für eine Schwermut ihn erfüllte! Schon wieder stiegen ihm Tränen in die Augen, wie kurz zuvor, als er nach diesem feuchtfröhlichen Abend eine Weile in seinem Zimmer gesessen hatte. Unterdessen rührte Laure sich leicht, kam halb zu sich, doch er merkte nichts davon, war anderswo, stand fassungslos vor der Spalte seiner Schwiegertochter wie ein Gläubiger vor der Erscheinung der Jungfrau Maria, stumm und starr.
    Wer hätte die tiefe Regung ahnen können, die er in diesem Augenblick empfand, wer hätte gedacht, daß André Trendel in diesem Augenblick nicht den Gynäkologen spielte, nicht ungestraft Stielaugen machte, nicht einen hinterhältigen Coup, eine unangebrachte Geste plante, sondern nur daran dachte, wie kurz das Dasein war und was für ungeheure Rätsel es noch zu lösen gab?
    Ganz bestimmt nicht Laure, die diesen Augenblick wählte, um die Augen aufzuschlagen und zu entdecken, wie die Nase ihres Schwiegervaters praktisch zwischen ihren Schenkeln steckte.
    Selbst wenn sie völlig neben der Spur und auf die eine oder andere Weise geistig weggetreten sind, haben die Leute, wie ich oft festgestellt habe, lichte Augenblicke, das habe ich sogar bei total Verrückten feststellen können – wenn man die Art und Weise, wie Laure diese Szene auslegte, einen lichten Augenblick nennen darf. Sie riß die Augen derart weit auf, daß André es merkte und ebenfalls die Augen hob.
    Er fühlte sich tief im Inneren so unschuldig, so unverdächtig, daß sich auf seinem Gesicht eine große Seelenruhe abzeichnete. Er fühlte sich so sündenfrei, war so stolz darauf, daß er ihr eine Gefälligkeit erwiesen hatte – und was für eine Gefälligkeit! –, daß er weder das Toben noch die Gewalt der Flut wahrnahm, die donnernd auf ihn einstürzte.
    Eine schallende Ohrfeige. Eine geradezu sagenhafte, unwahrscheinliche Ohrfeige, die Laure ihm trotz ihres Zustands mit voller Kraft versetzte, ohne sich auch nur ein bißchen zurückzuhalten, und die knallte wie eine Peitsche.
    Die ihm den Atem raubte, die Wange glutrot färbte und sein Herz in tausend Stücke zerspringen ließ. Eine Ohrfeige, die ihm einen solchen Schmerz zufügte, wie man ihm selten einen zugefügt hatte, seit er auf die Welt gekommen war.
    Bestürzt legte er eine Hand aufs Gesicht, auf die feuersprühende, glühend rote Wange. Danach blieb ihm nichts anderes übrig, als das Zimmer zu verlassen, wobei die Scham seine alte Brust gleichsam in einen Schraubstock nahm und seine schlottrigen, schmerzenden alten Beine verbog.
    Aussage gegen Aussage. Das Wort eines Jungen aus gutem Haus gegen das eines Außenseiters, der in den Wäldern wohnte und dessen Einkünfte zwielichtigen Ursprungs waren. Wem sollte man glauben?
    Eine Frage, die durch das Verschwinden seines Vaters in den Hintergrund gedrängt worden war, die ihm aber dennoch nicht aus dem Sinn ging. Dany Clarence hatte ein gewisses Thema wieder aktuell werden lassen, ein gewisses Thema, das man sich bemühte zu vergessen – nein, nicht

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