Die Frühreifen (German Edition)
Gläsern in Liegestühle, brachen in Gelächter aus, bissen in ein Stück Entenbrust, das auf einem zugespitzten Bambusstäbchen steckte, schielten auf die Brüste der Frauen, verzogen sich in die Toiletten, um etwas Koks zu sniffen, oder begannen ihr Leben zu erzählen.
Schön wie der junge Morgen vertraute Alexandra Storer Laure zwischen zwei Daiquiris an, nicht mehr schreiben zu können sei für Richard gewesen, als wenn ihm kurz vor dem Tod alles vor den Augen verschwimmen würde, und Laure betrachtete sie mit einem leichten Kopfnicken und dachte dabei wie kommt das bloß, daß du mehr über diesen Mann weißt als ich, mein Gott, wie ist das nur möglich ? und fand das so tragisch, so entsetzlich, in einem Wort so traurig, daß sie aufs höchste bestürzt darüber war.
Aber sie war natürlich nicht die einzige unter den Gästen, die irgendein Fiasko oder eine Schlappe erlitten hatte, sich vor sich selbst ekelte oder völlig niedergeschlagen war – Scheidung, Ehebruch, lockerer Lebenswandel, Betrug, Gewalt, Täuschung usw. gehörten zum Alltag –, das schuf ein gewisses Einvernehmen unter den Anwesenden, eine gewisse Verbundenheit im Leid, und daher stellte sie niemand wegen ihrer vorübergehenden Bestürzung bloß, niemand mischte sich ein, und Alexandra wandte nur den Blick ab.
Die Daiquiris waren tödlich. Evy und ein paar andere bedienten sich direkt in der Küche, um das Blabla ein paar alter Tanten zu vermeiden. Sie waren ein halbes Dutzend aus Brillantmont, deren Eltern irgendwo in der Nähe herumliefen, und einer von ihnen, ein gewisser Olivier Von Dutch, der Bruder der Zwillinge, behauptete, Richard habe sein Drehbuch per E-Mail geschickt, und die Sekretärin seines Vaters habe lang mit ihm gesprochen.
»Ich habe gedacht, daß dich das interessieren könnte. Falls du gezwungen sein solltest, deine Wochenenden mit ihm zu verbringen. Sie glaubt, daß er ein Chalet in den Bergen gemietet hat. Ich meine, das ist bestimmt unheimlich cool. In den Wildwassern zu baden und alles.«
Olivier war ziemlich griesgrämig geworden, seit seine Schwestern ihm die Unehre machten, alles, was ihnen in die Arme lief, zu vögeln – tatsächlich tat Cecilia, die dunkle Schönheit, es für hundert Euro oder sogar umsonst und hatte vor einiger Zeit das Geld von Andreas akzeptiert, um sich seines Freundes Evy anzunehmen und ihm eine Nummer mit allen Extras anzubieten, allerdings hatte dieser Typ, nach allem, was sie gesehen und gehört hatte, als sie mit ihm in seinem Zimmer war, ihr zufolge ein echtes Problem, dieser Typ sollte am besten eine Soutane tragen und ein Paar Sandalen aus Preßpappe, was war denn bloß mit dem los? War der bekloppt? Aber was soll’s. Es ging nicht darum, herauszufinden, ob Evy nicht ganz richtig im Kopf war oder ob Cecilia Von Dutch eine Vorstellung von dem Sumpf hatte, in dem sie versank, wie er ihr vergeblich zu erklären versucht hatte, sondern eher darum, was er mit dieser Information über seinen Vater anfangen sollte.
Er gab Anaïs ein Zeichen, die nickte und noch ein paar Joints verteilte, um ihre Ruhe zu haben – fast wie ein Lastwagen der UNICEF mit Säcken voll Reis und ausgestreckten Händen. Er dagegen schluckte zwei Lexomil-Tabletten. Er hatte keine Lust zu rauchen. Zu diesem Zeitpunkt fehlte ihm sein Vater nicht wirklich, aber dennoch war es nicht schwer zu erraten, daß Richard, dadurch daß er von zu Hause abgehauen war, seinem Sohn etwas Schönes eingebrockt hatte, denn er überließ ihn der Obhut einer verstörten, depressiven Mutter voller Schuldgefühle und eines völlig überforderten, total bescheuerten Großvaters, der sich krankhaft für seinen Sprößling schämte.
Seit Anaïs erreicht hatte, was sie wollte, nämlich von Lisas Bruder akzeptiert zu werden und einen Platz an seiner Seite einzunehmen – und man weiß ja, was das für sie bedeutete, man kennt ja ihre neurotische Anhänglichkeit an die so oft erwähnte Verstorbene –, erwies sie sich zwar noch immer als ziemlich penetrant, ziemlich aufdringlich, aber Evy auch völlig ergeben, bereit, ihm jeden Wunsch von den Lippen abzulesen, und nichts, wirklich nichts schätzte sie mehr, nichts betrachtete sie als einen gerechteren Lohn für die Mühe, die sie sich gab, als die Momente, wenn Evy ihr sein Herz ausschüttete – etwas Süßeres gab es für sie nicht, no Sir.
»Du kennst ja meine Meinung zu diesem Thema«, seufzte sie. »Ich kann ihm keinen Vorwurf machen. Ich kann ihm keinen Vorwurf machen, weil ich
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