Die Frühreifen (German Edition)
davon, daß es allen guttun würde, sich zu entspannen, zu lachen, sich zu vergnügen und einen Abend lang an andere Dinge zu denken. Daraufhin mußte Éric Duncalah, der gerade eingetroffen war und begonnen hatte, Bier zu verteilen, sich sagen lassen, daß das Ausschenken von Alkohol an Minderjährige entweder als eine Leichtfertigkeit oder als Wille, Schaden zuzufügen, angesehen werden müsse, und das führte zu einem kleinen Wortwechsel, von dem André einen leicht bitteren Nachgeschmack im Mund zurückbehielt, denn sein Sohn und er waren früher glühende Verehrer solcher Zusammenstöße gewesen, hatten es sehr gut verstanden, sich Abscheulichkeiten an den Kopf zu werfen, und jetzt war er nicht mehr da.
Er hatte schon wieder einen Teil des Nachmittags in Richards Arbeitszimmer verbracht – die Gelegenheit genutzt, daß Evy in der Schule war und Laure vor der Kamera stand, um nicht ihre Prinzipien zu verletzten – und seine Durchsuchung methodisch fortgesetzt. Schubladen, Regale, Festplatte, Kartons, Papierkorb. Es fehlte nicht an Pornozeitschriften und Websites ähnlicher Art. Notizblocks, Zigarettenstangen, Amulette, Kugelschreiber, Kassetten, Hustendrops. Was nicht heißen soll, daß er eine Erklärung zu finden hoffte. Meistens gab es für Richards Handlungen keine befriedigende Erklärung. Warum sollte es diesmal eine geben? Wörterbücher, Reiseführer, Wecker, Drucker, Aspirin, Telefon, Anrufbeantworter – eine Nachricht von Alexandra Storer, die ihn davon zu überzeugen versuchte, daß er wirklich ein glänzender Schriftsteller sei, nach wie vor, und daß er sich das Urteil dieses Mädchens viel zu sehr zu Herzen nähme –, Ordner, Fax, Aschenbecher, Alkohol, Medikamente, Verträge, Thermosflasche. In dem Bungalow schwebte, vibrierte oder lastete ein Gefühl der Verbitterung und des Bedauerns, was André nicht verwunderte, es war ihm nicht neu, daß sein Sohn immer nur auf schlechte Gedanken kam.
Dann hatte er sich an den Schreibtisch gesetzt und über Alexandras Nachricht nachgedacht, die anzudeuten schien, daß Richard seinen eigenen Wert in Frage stellte und daß dieses Mädchen – schon wieder diese Gaby Gurlitch, die sich diesmal als Literaturkritikerin versuchte –, daß dieses Mädchen ihm seine letzten Hoffnungen genommen hatte.
Das war durchaus stimmig. Richard war dumm genug, sich auf das Urteil einer Achtzehnjährigen zu verlassen – was sollte die schon für eine Ahnung haben? Konnte die sich überhaupt vorstellen, welche Kraft in ihm steckte? Zigarettenpapier, Räucherstäbchen, Brille, Nagelfeile, Lippenpomade, Spiegel, Schere, Kleenex.
Aber was soll’s. Éric Duncalah war schwul, und André wollte sich nicht den Abend damit verderben, mit diesem Homo über ein Thema zu streiten, das keinerlei Kompromiß duldete. Nachdem er also gesagt hatte, was er zu sagen hatte, entfernte er sich, weil er in den Augen der jüngeren Leute nicht als ewige Nervensäge dastehen wollte, und zündete sich einen Zigarillo an.
Ein paar Stunden später ging er mit einem Glas in der Hand leicht schwankend am Swimmingpool entlang und hörte mit halbem Ohr einer Frau in seinem Alter zu, die sich etwas verzweifelt an seine Fersen geheftet hatte, doch es war ihm ein wirkliches Vergnügen, dort zu sein, inmitten all dieser Leute, von denen er die meisten zwangsläufig schon da und dort gesehen hatte.
Alles verlief prächtig. Der Mond schien, das Gras glänzte, der Champagner perlte, die Frauen trugen Schmuck, die Männer waren cool, das Büffet ausgezeichnet, es war noch niemandem übel, und der Service – ein Dutzend frisch rasierter, weiß behandschuhter Kellner, die Marlène Aramentis aus den Augenwinkeln überwachte – war mustergültig.
Tatsächlich wurde das Bild nur von einem einzigen kleinen Schatten getrübt. Der jedoch fast niemanden bedrückte, nicht einmal Marlène Aramentis selbst, die in erster Linie davon betroffen war und die nur der Form halber behauptete, es verstimme sie sehr. Der offiziellen Version zufolge saß ihr Mann auf irgendeinem amerikanischen Flughafen fest, der in Alarmstufe Rot versetzt worden war. Diese Yankees waren unerträglich. Sie seufzte, bedauerte die Abwesenheit des Hausherrn, verdrehte die Augen und forderte dann alle auf, sich zu amüsieren, um etwas Balsam auf ihre Wunde zu träufeln.
Die Botschaft kam offensichtlich rüber. Hundertfünfzig Gäste spazierten lässig um den Swimmingpool, um das Büffet, durchs Haus, legten sich mit randvoll gefüllten
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