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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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der Ansicht bin, daß er dir etwas gezeigt hat. Etwas, das du nicht wahrhaben willst. Aber was soll’s, ich nehme an, es hat keinen Zweck, darauf zurückzukommen.«
    »Du hast keine Ahnung. Keinen blassen Schimmer. Du hast sie nie ausstehen können. Du hast immer den größten Scheiß über sie erzählt. Du bist so eifersüchtig, daß sich die Bäume biegen, das ist alles.«
    »Es war meine Aufgabe, Lisa zu warnen. Leider hat das nichts genützt. Und jetzt bist du dran. Scheiße, ich hab wohl kein großes Überzeugungstalent, was meinst du? Und nicht nur das, ich habe auch noch die dumme Angewohnheit, offen zu sein, und damit handele ich mir nur Ärger ein.«
    »Ja, nur daß du Offenheit und Wahrheit verwechselst. Du verwechselst die beiden.«
    »Absolut nicht.«
    Es sah so aus, als hätten an dem Abend viele nichts Dringlicheres zu tun, als ein paar Linien zu sniffen oder ein paar Tabletten zu schlucken, und daher war Anaïs sehr beschäftigt und wurde ständig von neuen Abnehmern unterbrochen – die immer nervöser, immer mehr in Eile waren und sich immer ungeduldiger einzureden versuchten, daß das Leben ihnen ein beneidenswerteres Los vorbehalten habe als den meisten anderen Menschen. Er nutzte die Tatsache, daß ein junger Typ vom Fernsehen in einem weißen Hemd es irrsinnig eilig hatte – kein Geringerer als Dominique Dostal, der echte, der unvergleichliche, der wirklich den Eindruck machte, sich vor sich selbst zu fürchten, je mehr er sich seines Ichs bewußt wurde, und dessen Kinnlade zitterte und der schon ein Bündel Geldscheine in der Hand hielt –, um sich zu entfernen, denn er hatte genug von Anaïs.
    »Wir sehen uns in zwei Minuten«, rief sie ihm nach, ehe sie das Geschäft mit Dominique Dostal abschloß, der nur das hatte, was er verdiente, nämlich objektiv gesehen tausend Gründe, sich zuzudröhnen. Das Blut spritzte ihm schon fast aus den Nasenlöchern. Wenn man übrigens die Anwesenden unter einem gewissen Blickwinkel betrachtete, so wie Evy es in jenem Augenblick tat, war man verblüfft über die allgemeine Abhängigkeit und die damit verbundene Angst und unbewußte Selbstverachtung.
    Zum Glück gab es den ununterbrochenen Stimmenlärm, und der Eindruck von Leben und rauschender Wärme war stärker als dieses nervenzehrende Gift, das sonst irgendwann von der Decke getropft wäre – obwohl er sich unter freiem Himmel befand, in einer noch lauen, sternklaren Nacht voller Düfte, denen er jedoch keine Aufmerksamkeit schenkte, weil ihm vom Lexomil und vom Alkohol der Kopf schwirrte. Man hörte auch Musik, lautes Gelächter, Glucksen und die grotesken Klingeltöne der Handys.
    Judith Beverini trug ein durchsichtiges Kleid ohne BH. Sie glaubte nicht an das Verschwinden, von dem Alexandra erzählt hatte, hielt es für unwahrscheinlich, daß ein Schriftsteller sich in nichts auflöste wie eine Brausetablette, weil er seine Seele dem Teufel oder einem Kabelkanal verkauft hatte. Sie warf einen nervösen Blick auf Evy und sagte: »Hör zu. Sei so nett. Ich unterhalte mich gerade mit deiner Mutter.« Ihre Brüste wogten unter ihrem Oberteil, so daß es einfach unmöglich war, ihr zu antworten, einfach unmöglich, sie zu einer Kraftprobe herauszufordern.
    Sie widerte ihn an, aber echt. Er hatte immer gespürt, daß diese blöde Ziege Männern – abgesehen von einer ungeheuchelten Aversion – keinerlei Gefühle entgegenbrachte. Niemand zwang sie, sich von allen Mitarbeitern ihres Rechtsanwaltsbüros bumsen zu lassen, und das Ergebnis, das Ergebnis davon war, daß sie keine Gelegenheit verpaßte, sich zu rächen, sie schlug zu, schlug zu, schlug ständig zu, und besonders gern würgte sie Evy oder seinem Vater einen rein, die ihre nächsten Nachbarn und die Folterknechte ihrer besten Freundin waren. Ihre Brüste so zur Schau zu stellen, wie sie es tat, sich dieser jämmerlichen Waffe zu bedienen, fand er echt zum Kotzen, davon wurde ihm richtig übel.
    Es sei denn, das kam vom Lexomil. Schwer zu sagen. In regelmäßigen Abständen tauchte das Bild von Gaby Gurlitch vor seinen Augen auf, nahm schließlich blendende Helle an. Er hätte Judith gern gesagt, daß ihr Kleid total obszön war und sie drei Kilometer gegen den Wind stank, aber er brachte kein Wort über die Lippen.
    Laure wollte erst etwas sagen, aber dann besann sie sich anders. Man hörte Paint It Black. »Tierisch gute Musik!« hätte Richard erklärt und dabei den Kopf hin und her gewiegt. Laure wechselte einen Blick mit ihrem Sohn. Sie

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