Die Frühreifen (German Edition)
verdiente – vor allem da es für Shorts inzwischen zu kalt war. Zugleich war sie die einzige, die noch Kontakt mit Dany hatte, der ihr bester Lieferant blieb und ihr das Kraut zum Selbstkostenpreis verkaufte.
»Sie treffen sich in der Stadt, mehr kann ich nicht sagen.«
»So, so. Und wer hat dich gebeten, sie zu überwachen?«
»He! Das reicht! Halt die Klappe!« brüllte Andreas und säbelte mit seinem Gehstock aus Silber und Ebenholz – Frank Zappas Lieblingsstock – das Laub nieder.
Er hatte die Nase gestrichen voll von dieser Geschichte. Er mußte zusehen, wie sein bester Freund absoluten Scheiß baute, und das machte ihn wütend, das machte ihn grün vor Ärger, und er fragte sich, was für eine Lösung sie finden konnten, um dieser Höllenfahrt endlich ein Ende zu setzen.
Aber warum kletterte er immer wieder hartnäckig auf die Plattform, auf die Gefahr hin, noch einmal auf die Schnauze zu fallen, ganz zu schweigen von der Mühe, der Anstrengung, die es ihn mit seinem lahmen Bein kostete – der Therapeut, ein junger Typ mit einer kleinen Tolle, behauptete, daß er angesichts der Fortschritte, die er seit Beginn der Behandlung gemacht habe, noch mindestens zwanzig Jahre brauche – warum gab er sich solche Mühe?
Warum machte er so verbissen weiter, wenn nicht aus reiner Freundschaft?
Aber manchmal hätte er Evy eigenhändig erwürgen können. Vor allem, wenn es um Gaby ging. Um die Vorstellung, die sich dieser Vollidiot von Gaby machte. Eine Heilige. Ein Idol. Ein Juwel. Eine unberührbare Göttin. Ein Engel der Reinheit. ›So eine verdammte Scheiße!‹ sagte er sich. ›Ich hoffe, er fängt nicht wieder damit an! Ich hoffe, er fängt nicht wieder damit an wie zur Zeit seiner beknackten Schwester!‹ Doch das war möglich, durchaus möglich, und Andreas sah dem nur sehr ungern zu – vor allem, da er nicht einsah, was für ein Vergnügen es sein sollte, ein geiles Mädchen wie Gaby Gurlitch nicht zu vögeln, ein Detail, das Evys Vater nebenbei gesagt nicht entgangen war, denn Richard Trendel hatte offensichtlich nicht die gleichen Bedenken und nicht die gleiche Vorliebe für Abstinenz wie sein fanatischer Sohn.
Na ja, auf jeden Fall tat sich Gaby keinen Zwang an, und er wollte, daß Evy das hörte, daß Evy das erfuhr, daß Evy das kapierte – auch wenn dieser die Tatsachen noch mit einer total absurden Überzeugung, einem geradezu kindischen Glauben abstritt: Andreas meinte, irgendwann werde die Wahrheit wohl doch durchsickern und diesem Dummkopf schließlich aufgehen.
»Also, Anaïs… Was hast du da gesagt?«
Wenigstens war es ihnen gelungen, ihn von diesem Baum wieder herunterzuholen, und das war gar nicht so einfach gewesen. Am Ende des dritten Tags war Laure Trendel fast verrückt geworden, sie hielt es nicht mehr aus und zog die Möglichkeit in Betracht, ihren Sohn einer Privatklinik anzuvertrauen, die sich mit der nötigen Diskretion um solche Fälle kümmerte. André Trendel war einverstanden. Ein Vater, der die eheliche Wohnung verließ, verletzte dadurch sicherlich seinen Sohn. Und wenn er noch dazu mit der Freundin seines Sohns verduftete, brauchte man sich nicht zu wundern, wenn der Junge auf einen Baum kletterte und sich weigerte, wieder herunterzukommen.
Aber es war ihnen gelungen, Evy davon zu überzeugen, es sei nicht gut für ihn, die Alten unten rumrennen und so kopflos werden zu lassen, daß sie schließlich irgendeine idiotische Maßnahme ergriffen.
Er verbrachte zwar noch immer etwas Zeit dort oben, stieg meistens direkt nach Schulschluß dort hinauf – vor allem wenn er Gaby Gurlitch in der Pause flüchtig gesehen hatte und Einsamkeit brauchte, um die Glut zu schüren, die in seinem Herzen brannte und es langsam, aber sicher verzehrte. Er ließ sich mitten im Laub nieder, und nur Gott weiß, welchen Beschwörungen er sich hingab, welche düsteren Worte er dort oben murmelte, was er meditierte, worüber er nachbrütete. Aber er kam wieder herunter. Zur großen Erleichterung seiner Mutter und seines Großvaters, die sich durch die Angst vereint und durch sein fragwürdiges Verhalten gekränkt fühlten, kam er jetzt wieder herunter, sobald es dunkel wurde, und verschwand stumm in seinem Zimmer – was ihnen noch nicht erlaubte, Siegeslieder anzustimmen, sie aber wenigstens aufatmen ließ.
Als sich Andreas die Gelegenheit bot, Evy ungestört ein paar Worte zu sagen – die beiden Mädchen drehten Joints und füllten Tütchen mit Pulver oder Pillen für die Fete bei den
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