Die Frühreifen (German Edition)
sei Dank, das räumte Laure durchaus ein, schließlich war sie nicht von gestern. Aber es war trotzdem hart, sagte sie sich, es war ein fehlendes Teil im Puzzle des vollkommenen Glücks, das sich am Horizont abzeichnete, ein Schatten am strahlenden Himmel, den ihr die MediaMax anbot, was auch immer Éric darüber denken mochte.
Aber ihr blieb wohl keine andere Wahl, nicht wahr? Sie öffnete die Autotür, stellte ein Bein auf den Boden und atmete tief ein, um ihre Lunge mit frischer Luft zu füllen. Dann stieg sie aus.
»Könntest du mir noch ein Lächeln schenken, ehe wir uns trennen?« sagte Éric und strahlte dabei trotz der Einschränkung, die Laure erwähnt hatte, vor Glück. »Ist das so schwer?«
Sie zögerte einen Augenblick, dann erhellte sich ihr Gesicht, und sie bedachte ihn mit einem Lächeln, das immer breiter wurde. So mußte man die Sache nehmen.
»Du warst toll«, sagte sie zu ihm. »Du hast recht. Nur der Sieg zählt.«
Sie zwinkerte ihm zu.
Er war ein Agent, der seine zwanzig Prozent wirklich verdiente, jemand, der wußte, was für eine schwere Zeit sie durchgemacht hatte, und der Verständnis für sie aufbrachte, jemand, der alles über sie wußte. Zum Glück war er schwul. Sie winkte ihm zu und drehte sich um, dabei dachte sie, daß Homos doch einen eigentümlichen Charakter hatten, sie vögelten bei jeder Gelegenheit, egal mit wem und was, so daß Éric die unentschlossene Haltung einer Frau, ihren Mangel an Begeisterung beim Gedanken daran, mit einem Typen wie Axel Mender – ob er nun attraktiv war oder nicht – ins Bett zu gehen, nicht verstehen konnte. Sie steckte den Schlüssel ins Schloß und schwor sich, ihn zu zwingen, einen Präser zu nehmen, und daß sie sich weigern würde, ihn auf dem Mund zu küssen. Sie hielt wieder kurz inne und holte tief Luft. Sie spürte, daß der Augenblick gekommen war, gemeinsam mit Judith wieder einen Yogakurs zu besuchen – Judith hatte übrigens in Sachen Ehebruch schon immer eine äußerst verständnisvolle Haltung gehabt, sah die Sache völlig locker, völlig distanziert, völlig ungezwungen.
Das Wohnzimmer war in relatives Halbdunkel getaucht. Einer der zahlreichen Vorteile, die das Leben auf dem Hügel bot, bestand darin, daß sie kein Gegenüber hatten und keine Mauer, kein Hochhaus, kein Nachbar ihnen den Mondschein raubte, ein bläuliches Licht drang durch den Garten herein, schwebte im Inneren und legte sich auf die Oberfläche der Gegenstände wie Puder.
Daher nahm sie Richard sofort wahr, zumindest seine Silhouette, die sich auf dem Sofa – ein Design von John Hutton für Cassina – abzeichnete und der Fenstertür den Rücken zukehrte.
»Es ist spät«, erklärte er in neutralem Ton und hob sein Glas in ihre Richtung.
»Ja, sogar sehr spät«, erwiderte sie.
Aus alter Gewohnheit ging sie auf die Bar zu, aber im letzten Augenblick änderte sie die Richtung und holte eine Flasche Perrier aus dem Kühlschrank. Nebenbei gesagt, würde sie durchhalten? Eine Sekunde lang dachte sie an ihren Entschluß, in den kommenden Wochen auf den Alkohol zu verzichten, und diese Aussicht erfüllte sie mit eisigem Schrecken: Würde sie durchhalten? Würde sie der Verzweiflung standhalten, die sie bei Lisas Tod am Boden zerstört hatte, ohne einen einzigen Tropfen Alkohol zu trinken ? Würde sie stark genug sein? Sie hatte in vollen Zügen den sanften Rausch genossen, der sie in jenem Augenblick einhüllte und sie vor dem Meer des Schmerzes schützte, das in der Ferne brandete, vor den Schatten, deren Flügel sie über ihrem Kopf flattern hörte. Würde sie darauf verzichten können?
Sie schwor, sich mit aller Kraft in die Schlacht zu stürzen, sich mit ganzer Seele der Sache zu verschreiben, und schloß den Kühlschrank mit einer entschlossenen Geste.
Anschließend wurde sie sich bewußt, wie ungewöhnlich die Situation war. Was machte denn Richard bloß hier? An diesem Ort. Zu dieser Zeit.
Aber erst mal mußte sie sich setzen, denn sie war vom Alkohol ziemlich benebelt. Eine kleine Pause war ihr durchaus willkommen, ehe sie den Aufstieg in den ersten Stock in Angriff nahm. Und sie hatte die Absicht, die Gelegenheit zu nutzen, um Richard zu sagen, daß ihr das Glück wieder hold war.
Doch was für eine kalte Dusche versetzte er ihr, als er ihr von der letzten Heldentat ihres Sohnes erzählte. Was für eine kalte Dusche, aiaiai! Bei manchen Punkten mußte Richard wiederholen, was er gesagt hatte, und sogar schwören, daß er nicht log, denn Laure
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