Die Frühreifen (German Edition)
störte ihn nicht allzusehr. Er begnügte sich mit einem Kopfnicken, die Backen voller Nahrung, die seine Anzahl an Blutkörperchen wieder erhöhen sollte, die Stirn gesenkt, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, während seine Eltern ihn zärtlich anblickten, als sei er ein feenhaftes Wesen.
Dr. String beugte sich über ihn und sagte zu ihm: »Mein Lieber, du scheinst Eltern zu haben, die um deine Gesundheit sehr besorgt sind, also was soll dieses Spielchen?«
Nachdem Evy seine Hose wieder hochgezogen hatte, warf er dem Arzt einen stummen Was-geht-Sie-das-an-Blick zu und kratzte sich am Kopf. Wie kam der Arzt nur auf die komische Idee, daß es sich um ein Spielchen handeln könne? Das zeigte mal wieder, daß die meisten Erwachsenen ganz schön abwegige Vorstellungen hatten.
Da er keine Antwort erhielt, stand der Arzt mit einem gelassenen Seufzer auf und begleitete Evy zu seinen Eltern, die sich verstört auf die erstbeste Bank gesetzt hatten und stumm auf ihn warteten.
»Behalten Sie ihn zwei oder drei Tage zu Hause«, riet er ihnen. »Er braucht noch ein bißchen Ruhe, dann geht alles wieder in Ordnung.«
Laure blickte ihn starr an.
Als sie das Haus betraten, wurden die Pink-Beauty-Tulpen gerade durch Sibirische Iris von erstaunlich leuchtendem Blau ersetzt. Die Küche war tadellos aufgeräumt, und im ersten Stock summte ein Staubsauger. Alle Fenstertüren waren weit geöffnet. Überall war Licht, und der Boden glänzte wie ein Spiegel.
Richard kam schon wieder mit einem Orangensaft an, während sich Laure in einen Sessel sinken ließ, um den Anrufbeantworter abzuhören.
»Keine Diskussion«, erklärte er, während er seinem Sohn ein randvoll gefülltes Glas reichte, und so ging das drei Tage lang. Drei Tage lang standen Richard und Laure im Morgengrauen auf, um das Frühstück für ihren Sohn zuzubereiten. Drei Tage hintereinander.
Evy glaubte, er würde verrückt werden. Nach monatelanger Ruhe und stillen Vormittagen, an denen er nur mit huschenden Schatten zusammengelebt hatte, fielen sie plötzlich brutal über ihn her. Wie die Wilden. Von nun an mußte er sich verstecken, wenn er fünf Minuten Ruhe haben wollte. Er hatte das Gefühl, als verfolgten sie ihn jederzeit mit einem Steak oder einem Teller Rührei. Richard tauchte mitten am Nachmittag aus seinem Arbeitszimmer auf und rannte in die Küche, oder Laure schloß ihr Telefon an einen Lautsprecher an, um die Hände frei zu haben, und bereitete ihm Fruchtcocktails zu – während Gina, statt zu putzen, von Laure den Auftrag erhielt, die entsprechenden Mengen Obst zu schälen, es ging wirklich alles drunter und drüber in diesem Haus, alles wurde auf den Kopf gestellt, durcheinandergebracht, umgekrempelt.
Andreas hatte das gleiche Problem gehabt, als seine Mutter Brigitte im Haus aufgenommen und diese beiden Schnepfen versucht hatten, ihn zu überfüttern, ihn mit Süßigkeiten und allem möglichen Mist vollzustopfen. Er meinte, dabei kriege man wirklich Lust, sie zu zwingen, diesen ganzen Scheiß selbst zu schlucken.
Er wollte die Verletzung seines Freundes sehen und verzog beim Anblick der Wunde das Gesicht. Evy bestätigte ihm, daß das Blut kilometerweit gespritzt sei, während er total zugedröhnt war.
Andreas wiegte den Kopf hin und her. Er war sich nicht sicher, daß Gaby Gurlitch soviel Hochachtung verdiente, aber er gab zu, daß die Sache einen Versuch wert war. Er hätte es an Evys Stelle ebenfalls getan. Halb Brillantmont war scharf auf dieses Mädchen, total verrückt nach ihr. Vor allem, da sie im Ruf stand, sich von niemandem anrühren zu lassen.
»Auf jeden Fall ist die Dicke völlig aus dem Häuschen«, sagte er und betrachtete den sämigen, dunklen Saft, den Gina ihnen gebracht hatte, nachdem Laure die Gläser mit einer Scheibe Zwergananas verziert hatte. »Die Dicke ist total ausgeflippt«, fuhr er fort. »Heute mittag hat sie mich in den Toiletten festgenagelt und mich gefragt, was ich weiß. Sie hat mich gefragt, was es zu bedeuten hat, daß du mit dieser Zicke baden gehst. Ich verwende das Wort, das sie benutzt hat, Alter. Sie sagt, du könntest die Sache bereuen.«
Evy erinnerte sich noch genau an den finsteren Blick, den sie ihm am Seeufer zugeworfen hatte. Aber daß Anaïs Delacosta durchgeknallt war, das wußte er, daran zweifelte er nicht einen Augenblick. Sie hatte wie eine Klette an Lisa gehangen, so daß Evy sie in aller Ruhe hatte beobachten können. Wenn sie mal einen guten Tag hatte, war sie nicht
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