Die Frühreifen (German Edition)
ihnen beklagten sich über die Sorgen und Enttäuschungen, die ihnen ihre Kinder bereiteten, aber Richard fragte sich, ob Laure und er nicht den Vogel abgeschossen hatten, ob sich ein anderes Paar in diesem Wettlauf des Unverständnisses und des Leidens mit ihnen messen konnte.
Dabei wirkte alles so friedlich. Er stellte den Wagen in die Garage, schaltete das Licht aus, drehte den Zündschlüssel um und wartete etwa eine Minute, wobei er den Blick abwandte.
Dann stieg er aus, ging auf die andere Seite, um die Tür seines Beifahrers zu öffnen, der nur noch ein blasser Greis mit aufgelöster Miene war.
Richard betrachtete ihn mit unvoreingenommenem Blick. Die Versuchung, kehrtzumachen und Evy allein zurechtkommen zu lassen, war sehr stark, fast unwiderstehlich.
Er hob die Augen und sah ein Eichhörnchen, das durch den Garten lief. Dann beugte er sich schließlich zu seinem Sohn hinab und hob ihn aus dem Auto.
»Steck dir doch beim nächsten Mal die Glasscherben in den Mund«, riet er ihm, während er ihn ins Haus transportierte. »Auf deine Zunge kannst du ja gut verzichten.«
Um drei Uhr morgens setzte Éric Duncalah leicht beschwipst Laure vor ihrem Haus ab und küßte ihr, einem inneren Drang folgend, zärtlich die Hand. Gewiß, er hatte zuviel getrunken und hatte im allgemeinen eine tiefe Abneigung gegen jeglichen Körperkontakt mit Frauen, aber das euphorische Gefühl, das ihn erfüllte und zu einer solchen Verrücktheit verleitete, ging nicht auf einen übermäßigen Alkoholgenuß oder eine Perversion, sondern auf den Sieg zurück, den sie im Verlauf dieses genialen Abends errungen hatten. Einen endgültigen Sieg.
Mit diesem Handkuß wollte er ihr seine tiefe Zuneigung ausdrücken. Er wollte ihr seine große Freude darüber zeigen, daß sie wieder ihren Platz einnehmen und die großen Rollen bekommen würde, die für sie bestimmt waren. Im Gegensatz zu anderen hatte er immer an ihr Talent geglaubt, und jetzt hatte die Stunde der Vergeltung geschlagen.
Auch Laure war ein wenig beschwipst, aber sie schien die Begeisterung ihres Agenten nicht ganz zu teilen. Obwohl Éric zugleich ihr Vertrauter und Freund war, hatte sie einen zerstreuten Blick und setzte seinen Gefühlsäußerungen bald ein Ende.
»Ich habe noch nicht ja gesagt«, versetzte sie. »Es tut mir leid, aber ich habe noch nicht ja gesagt.«
Ein Hauch der Verstimmung verdüsterte Érics Gesichtsausdruck. Aber er riß sich sofort wieder zusammen und schenkte Laure ein liebevolles Lächeln. Wenn es reichen würde, mit dem Produzenten ins Bett zu gehen, um eine Rolle zu bekommen, meinte er, dann gäbe es keine einzige arbeitslose Schauspielerin mehr.
»Du verdankst es ausschließlich deinem Talent«, fuhr er fort. »Stell dich doch nicht blöd. Er hat nur Lust, mit dir zu schlafen, na und? Ist das etwa ein Verbrechen? Außerdem finde ich ihn gar nicht so unsympathisch, weißt du…«
»Das ist nicht das Problem. Es geht nicht darum, ob er mir mißfällt oder nicht.«
So waren die Frauen nun mal: Sie gingen ohne weiteres mit jemandem ins Bett, aus reinem Zeitvertreib, aber wenn es hieß, damit etwas zu erreichen, dann weigerten sie sich. Das hatte Éric schon oft verblüfft.
Dieser Schatten, dieser leichte Schleier trübte jedoch nicht sein Vertrauen. Die Nacht, die sie umgab, war lau und beruhigend, von Zirpen und vom Rauschen des Waldes erfüllt. Es war normal, daß Laure bei dem Gedanken, sich auf einen Geschlechtsverkehr mit einem Typen der MediaMax einzulassen, ein wenig zögerte, auch wenn der Mann einen hohen Posten innehatte, aber es stand viel auf dem Spiel. Es stand enorm viel auf dem Spiel, denn schließlich ging es um den neuen Anfang, den sie sich ersehnte und der allein verhindern konnte, daß sie unweigerlich von der Bildfläche oder in der Versenkung verschwand, sie hatte die Wahl.
»Hör zu, du bist doch nicht mehr Jungfrau und verkehrst seit zwanzig Jahren in diesen Kreisen«, erklärte er sanft. »Man verlangt doch nicht von dir, daß du an einem Gummiseil von einer Brücke springst…«
Sicher. Gut möglich. Dennoch reichte das aus, um ihr einen Teil dieses Abends zu verderben, der herrlich verlaufen war, bis sich Axel Mender, ein älterer Mann, der schon zum fünften Mal verheiratet war, bis sich also Axel Mender von der MediaMax nach einem ausgezeichneten, sehr angenehmen Essen über ihr Ohr beugte, um sie über eine Klausel aufzuklären, die nicht im Vertrag stand.
Das war gewiß kein Grund, in Ohnmacht zu fallen, Gott
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