Die Frühreifen (German Edition)
tun, ich meine, die sie den Tieren zu fressen geben?«
Er hatte Lust, in seinen Porsche zu springen, aber er hielt sich zurück. Laure fand das so kindisch, daß er es vorzog, es heimlich zu tun – wie das Onanieren, eine Tätigkeit, der er sich regelmäßig widmete, seit sich Laure nicht mehr für die Sache interessierte, zumindest mit ihm –, daß er es vorzog, sich nicht mehr ihrem Sarkasmus auszusetzen – als er noch jünger war, fuhr er wie ein Besessener mit Vollgas in einer aufwirbelnden Staubwolke an, schon damals hielt sie ihm das vor und machte sich über sein angeberisches Gehabe lustig, aber das waren noch goldene Zeiten –, daß er es jetzt vorzog, sich zu verzehren, anstatt sich vor ihren Augen seinem Laster zu überlassen.
Das letzte Mal, daß er mit Laure gevögelt hatte, lag schon sechs Monate zurück. Eine völlig außergewöhnliche Situation: An einem Abend bei den Beverinis waren zwei Ecstasy-Tabletten in ihrem Getränk gelandet, deren Wirkung noch Stunden später zu spüren war, als sich Laure im Slip abgeschminkt hatte und heiß wie ein Schüreisen gewesen war. Aber wie gesagt, das lag schon eine Ewigkeit zurück. Ansonsten ließ sich dazu nur sagen, daß sie nicht auf dem richtigen Weg waren, und diese Situation währte schon lange, ohne daß sie selbst oder irgend jemand aus ihrer Umgebung daran dachte, ihr ein Ende zu setzen.
Während er Laure beobachtete, die ihm vermutlich endgültig entglitten war, fragte sich Richard, ob ihr diese Filmgeschichte nicht zu Kopf steigen, die Sache nicht unerträglich werden würde, sobald sie ständig unter Druck stand und einen Höllenzirkus veranstaltete. Das war sehr schlecht für Evy, sagte er sich. Zu einem Zeitpunkt, an dem der Junge verstärkte Aufmerksamkeit verdiente und es für ihn entscheidend sein konnte, zu wissen, daß er einen Vater und eine Mutter hatte, kurz gesagt, zu einem Zeitpunkt, an dem Evy Ruhe und Erholung brauchte, begann Laure einen Film zu drehen. Man wußte ja, was das hieß.
»Sprich mit deinem Vater darüber. Frage ihn um Rat«, erklärte sie.
Absurd. Wie kam sie nur darauf, daß dieser alte Saftsack noch zu etwas gut sein konnte? Hatte er ihnen bei Lisas Tod etwa zur Seite gestanden? Hatte er etwas anderes getan, als auf der Veranda Zigarillos zu rauchen und zu warten, daß die Sache vorüberging? Wer brauchte einen Psychoanalytiker? Wer hatte den Wunsch, das geringste Problem so einem Knacker anzuvertrauen? Wenn sie ihm noch weitere Vorschläge dieser Art machen wollte, dann sollte sie diese besser für sich behalten.
»Na gut. Mach, was du willst«, seufzte sie.
Man hörte eine Geige, die eine klagende Melodie spielte. Sie blickten sich über einem Strauß Pink-Beauty-Tulpen an, nährten das gleiche stumpfsinnige Gefühl angesichts dieser Situation und angesichts der Leere ihrer Beziehung. Es war schwierig, miteinander zu reden, und es war schwierig, nicht miteinander zu reden.
Sie beschlossen, schlafen zu gehen.
Dr. String untersuchte Evys Verletzung und erklärte, er sei zufrieden.
Richard hatte früh am Morgen ein großes Steak, Crêpes und Orangensaft aus dem Gefrierschrank geholt und bereitete das Frühstück für seinen Sohn vor. Bald kam auch Laure hinzu, kochte weiche Eier und buk Muffins. Völlig verschlafen, mit verquollenen Augen, trockenem Mund und unsicheren Schritten machten sie sich stumm ans Werk, während die Sonnenstrahlen durchs Laub drangen und wirbelnd ins Wohnzimmer fielen.
Dann tauchte Evy oben auf dem Treppenabsatz auf – nicht gerade in Höchstform, aber auch nicht so gespenstisch, wie man es hätte befürchten können – und humpelte schnell ins Badezimmer, und als Laure sah, daß er wieder auf den Beinen, immer noch am Leben, immer noch imstande war, sich ohne fremde Hilfe fortzubewegen, und noch dazu so schön, wurde sie von einer starken Rührung, einer Welle reinen Gefühls überwältigt wie zu jener Zeit, als Lisa und er noch klein waren und es hin und wieder vorgekommen war, daß sie die beiden noch stärker vergötterte als sich selbst. Sie biß sich verstohlen auf die Unterlippe.
Die Berge von Essen, die Tausende von Kalorien, die Evy herunterschlingen mußte, um sich keinen Vorwürfen auszusetzen, brachten wieder Farbe in sein Gesicht. Richard und Laure starrten wie gebannt auf jeden Bissen, den er nahm, sahen entzückt zu, wie er kaute, hinunterschluckte, und die einzige Frage, die sie zu stellen wagten, ob er sich besser fühle, ob es wieder einigermaßen gehe,
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