Die Frühreifen (German Edition)
zu bestrafen, daß sie mit anderen Männern schlief, hatte vor Evys Augen nie wirklich Gnade gefunden, auch wenn sie mehrmals versucht hatte, ihre Kinder dazu zu bringen, ihre Sicht der Dinge zu teilen – Lisa schien für diese Argumente schon empfänglicher zu sein, das war ja klar, sie war eher bereit, Richard einen Schlag unter die Gürtellinie zu versetzen, wenn er wieder mal eine Entziehungskur machte.
Er hielt ihr ein Bier hin und vermied es, ihre Schenkel zu betrachten. Dieser Typ von der MediaMax war bestimmt nicht der erste gewesen, das räumte Evy gern ein, aber jetzt hatte er eine unglaublich genaue Vorstellung davon, was seine Mutter mit einem Mann machte, worauf sie sich einließ, was sie schätzte oder nicht, was sie schluckte, was sie kaltließ oder im Gegenteil verrückt machte, wie zum Beispiel, sich von einer Hand wichsen zu lassen, die immer wieder in eine Vaselinedose getaucht wird, nachdem sie die Schlüssel der Handschellen weggeworfen hat, oder so was ähnliches.
»Ich weiß, woran du denkst«, sagte sie zu ihm. »Aber ich weiß auch, daß du kein kleines Kind mehr und durchaus fähig bist, diese Dinge mit einem gewissen Abstand zu betrachten.« Sie zeigte auf irgend etwas Unbestimmtes. »Du wirst schon sehen. Später kannst du darüber noch mehr lachen. Dann siehst du mich nicht mehr mit großen Augen an.«
Er zuckte die Achseln und setzte sich – aber erst nachdem er einen Blick auf die zahlreichen Porträts von Gaby Gurlitch geworfen hatte, die an die Wand geheftet waren.
Es war peinlich, Lust zu haben, seine Mutter zu vögeln. Auch wenn ihn diese Lust nur ab und zu überkam, und zwar wenn sie einen Film drehte, in dem sie die Rolle einer scharfen Frau spielte, oder wenn er sie schlafend und mit nacktem Bauch in einer Hängematte antraf. Das war sogar mehr als peinlich, und vor allem reizte ihn das nicht dazu, das gleiche Schicksal einem Mädchen vorzubehalten, das ihn in der Seele berührt hatte – denn hatte Gaby vielleicht etwas anderes getan, als ihn in der Seele zu berühren, wenn man es genau bedenkt?
»Du mußt wissen, daß du in so einer Welt lebst«, fuhr Laure nickend fort. »Einer Welt, in der eine Schauspielerin mit jemandem schlafen muß, auch wenn sie noch soviel Talent besitzt. In der eine Frau mit jemandem schlafen muß. Ja, was glaubst du eigentlich? Glaubst du, sie hätten auf mich gewartet? Glaubst du, sie hätten noch meine Telefonnummer gehabt? Du mußt wissen, daß du in so einer Welt und keiner anderen lebst. Ich weiß, daß sich das gar nicht so abscheulich anhört, das ist es aber, das garantiere ich dir.«
Sie war eine große Schauspielerin. Die Nacht war angebrochen, und es war nur noch ein blasser bläulicher Schimmer im Westen zu sehen, und durch den Fußboden drang das gedämpfte Geräusch lauter Stimmen, während sich Laure nervös eine Zigarette anzündete. Man hörte auch das Rauschen des Waldes und das Klicken der automatischen Berieselungsanlage.
»Es wäre wirklich besser, wenn deine Schwester noch da wäre«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Es wäre wirklich einfacher für alle, wenn Lisa noch bei uns wäre. Warum sagst du nichts? Sag etwas.«
Er nickte. Er hatte absolut nichts zu sagen. Er konnte nur daran denken, wie rein das Gefühl war, das er für Gaby empfand.
»Richard hat mir gesagt, daß du mit mir reden willst«, erklärte er, um seinen guten Willen unter Beweis zu stellen. »Das hat er mir zumindest gesagt. Daß du mit mir reden willst.«
»Und was tun wir gerade, was meinst du? In diesem Augenblick. Was tun wir? Hm? O Evy, um Himmels willen, warum quälst du mich so? Siehst du nicht, daß ich genug habe? Sieht man mir das nicht an? Siehst du nicht, wie erschöpft ich bin?«
Sie blickten sich einen Augenblick starr an.
»Mein Gott, wie sehr sie mir fehlt«, fügte sie hinzu und unterdrückte ein Schluchzen.
Evy nutzte die Gelegenheit, um in aller Ruhe die Hälfte seiner Bierdose zu leeren – es war schon witzig, nebenbei gesagt, wie ihnen ein einfaches Bier Sorgen bereiten konnte, obwohl ihre Kinder schon mitten durch den Bombenhagel liefen, noch ehe sie ein Haar auf der Brust oder auch nur einen Ansatz von Titten hatten. Dann sahen sie die Scheinwerfer in der Allee.
Das war für alle besser so. Aber trotzdem streckte sie ihm die Hand entgegen.
Evy tat so, als käme er aus einem anderen Land, als wären ihm die Sitten hier fremd.
Aber Laure ließ sich nicht abwimmeln. Er fürchtete, sie könne ihn einfach an sich ziehen
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