Die Frühreifen (German Edition)
was er sah, für bare Münze hielt, und ließ es sich nicht nehmen, ihm das zu sagen, wobei sie innerlich einen Seufzer der Erleichterung ausstieß: Sie waren mit knapper Not dem Abgrund, einer Katastrophe entkommen.
»Ich habe durch den Spion geblickt, na und? Ich habe durch den Spion geblickt, na und? Na und? Das Treppenlicht brannte nicht. Weißt du, der Flut war im Dunkeln. So einfach ist das.«
Das war tatsächlich nicht sehr kompliziert. Dany Clarence zählte zu ihren regelmäßigen Besuchern, gehörte zu jenen, die sich Gabys Liebesdienste leisteten – nur mit dem Unterschied, daß Dany sie direkt mit seiner Ware bezahlte, so wie er es damals auch mit Lisa getan hatte, um ihnen die Abende mit verschiedenen Substanzen zu versüßen, die nicht gerade billig waren. So einfach war das.
Achtzehn zu sein und gut auszusehen konnte einem eine ganze Menge erleichtern – die meisten Bewohner des Hügels waren in dieser Hinsicht ziemlich ehrenwerte Familienväter, aber es gab auch eine ganze Menge unter ihnen, die Geld auf den Tisch legten, sobald die Mädels ihnen ihre Schenkel zeigten, denn Geld war für sie kein Problem, sie waren dagegen scharf auf junges Blut, straffe Haut und zartes, rosa Fleisch, diese Menschenfresser, diese Bastarde, diese Typen, die kaum noch Haare hatten und die Mädels von hinten nahmen, diese alten Ekel, die mit nackten Füßen in ihren blöden Mokassins herumliefen.
Doch sie beklagte sich nicht. Hauptsache war, daß sie sich immer genug Stoff besorgen konnte und ein Bett fand, in dem sie sich ausstrecken konnte, wenn die Welle sie bis an die Decke hob, ein Bett, in das sie sich fallen lassen konnte, wenn ihre Beine den Dienst versagten und sie ohne Gewissensbisse in einer anderen Welt versackte.
Patrick hatte sich ausgerechnet, daß eine kleine Lutschpartie zum Beispiel genug Geld einbrachte, um sich ein ganzes Wochenende lang anzutörnen. Nach dieser simplen Dienstleistung, die nur ein paar Minuten dauerte, konnte man sich also achtundvierzig Stunden lang königlich amüsieren.
Man mußte dabei allerdings aufpassen. Man mußte ziemlich diskret vorgehen, wenn die Sache klappen sollte. Man durfte nicht einfach mitten am Tag so antanzen, ohne Vorwarnung, schließlich war sie jetzt nicht mehr allein.
Sie ließ die Schultern wieder sinken. Im Augenblick hatte sie keine Lust, sich das Leben schwerzumachen. Sie sagte sich, daß sie mit Evy durchaus zufrieden sein konnte. Die meiste Zeit fühlte sie sich sehr wohl mit ihm. Er war nicht sehr witzig, das stimmte zwar. Aber man kann eben nicht alles haben, sagte sie sich. Für einen vierzehnjährigen Jungen war Evy eher seinem Alter voraus, und er stellte sich gar nicht so dumm an, wenn es darum ging, ein Mädchen zu wichsen, Lisa hatte ihm wohl ein paar Tips gegeben, und er konnte es durchaus mit älteren Typen aufnehmen, nicht nur auf diesem Gebiet, auch wenn er ein paar seltsame Vorstellungen hatte.
Ebenso wie er war auch sie der Ansicht, daß Sex nicht alles war. Sie zögerte immer weniger zwischen Vögeln oder einem Trip – und wenn Evy mit seinem Umschlag, seinem kleinen Geschenk in der Hand auftauchte, das er für einen Wucherpreis bei Dany Clarence, dieser alten Ratte, gekauft hatte, konnte sie nicht umhin, Evy an sich zu drücken, ihn liebevoll in den Arm zu nehmen, vor allem da sie im wesentlichen auf klitorale Orgasmen schwor.
Sie hielt es für ratsamer, für den Rest des Tages die Tapeten zu wechseln.
Sie zog sich an, während er das Geschirr spülte, das sie nach mehreren einsamen, furchtbar langweiligen Mahlzeiten in Gegenwart von Gespenstern, die in ihrer Art auch nicht sehr witzig waren, im Waschbecken zurückgelassen hatte. Sie liebte es, die Nacht bei ihm auf dem Hügel, in seinem Zimmer, umgeben vom Gesang der Waldvögel, zu verbringen und angesichts des sich entflammenden Horizonts das Bewußtsein zu verlieren oder über den Teppich zu kriechen, um sich eine noch etwas härtere Dosis reinzuziehen.
Wenn es nur nach ihr gegangen wäre, hätte sie, ganz ehrlich gesagt, Evys Zimmer am liebsten gar nicht mehr verlassen. Sie hätte keinen Fuß mehr vor die Tür gesetzt und ohne eine Träne zu vergießen auf jegliche Freiheit verzichtet, nur um dort eingeschlossen zu bleiben. Ohne zu zögern. Das Pulver. Der Blick auf den Wald. Die Masturbation. Das Tablett mit den kleinen Häppchen. O ja, ohne im geringsten zu zögern. Und zählte es etwa nicht, regelrecht angebetet zu werden, wenn gewisse Ausgaben sie zwangen, ihrem
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