Die Frühreifen (German Edition)
Drohung sein oder träume ich?«
Sie verhielten sich ihm gegenüber einfach nicht richtig. Er hätte ihnen das gern gesagt, aber die Umstände eigneten sich nicht dazu, er hatte eindeutig zuviel getrunken, war nicht imstande gewesen, sich zu beherrschen, nachdem er vor der verschlossenen Tür gestanden hatte. Schwer zu erklären, warum seine Enttäuschung solche Ausmaße angenommen hatte, warum ihm die Nummer, die ihm entgangen war, buchstäblich zu Kopf stieg, aber so war es nun mal. Er spürte, wie er innerlich vor Wut kochte.
Er kam in ein Alter, in dem die Einsamkeit allmählich zu einer Last wurde, ob er es zugab oder nicht, in dem die Einsamkeit auch Menschen mit einer Elefantenhaut einen Knacks gab. Er hatte keinerlei Zukunftspläne, keinerlei Hintergedanken, aber er bezahlte Gaby gut, sogar verdammt gut, ohne etwas dafür zu erwarten, er wünschte sich nur, daß keinerlei Veränderung das Gleichgewicht störte – zumindest in den nächsten zwanzig Jahren.
Gaby starrte ihn mit vor Zorn sprühenden Augen an. Evy machte ein leicht verächtliches Gesicht.
»Für wen haltet ihr euch eigentlich?« knurrte er, nachdem ihm die Magensäfte brennend wie Cayennepfeffer in den Mund gestiegen waren. »Habt ihr euch mal im Spiegel angesehen?«
Gaby stand auf. »Du bist wirklich zu beknackt«, sagte sie zu ihm. Evy folgte ihr, dann stellten sie sich auf den Gang und blickten woandershin, taten so, als gäbe es den besoffenen Dany Clarence nicht.
»Ist das der Dank dafür?« sagte er höhnisch. »Ist das der Dank dafür, daß ich so cool mit euch bin? So tierisch cool?«
Mußte er ihnen die Sache wirklich lang und breit erklären, fragte er sich und schielte dabei auf Gabys Figur, die er für nahezu perfekt hielt – gebräunte Schenkel ohne ein Gramm Fett, ein traumhafter Hintern, zarte Brüste und eine Muschi, klein und schmal, eine Muschi, die ein richtiges Samtpolster war, eine Muschi, klein und schmal, die geradezu ein Musterexemplar war, wie er es vielleicht nie wieder finden würde. Sollte er ihnen an den Karren fahren? Sollte er ihnen eine Abreibung verpassen? Glaubte sie vielleicht, sie käme so billig davon? Er hatte es nicht leicht im Leben gehabt. Es war ihm nie gelungen, über eine gewisse Grenze hinauszukommen. Und all das, um schließlich bei den Geldsäcken aus dem näheren Umkreis und deren ausgeflippten Frauen das Mädchen für alles zu spielen, eine Situation, die nicht gerade beneidenswert war. Und all das, ohne daß er es geschafft hatte, ab und zu einen bläulichen Schimmer am Horizont heraufziehen zu sehen?
Es gab viele Männer, die sich aus belangloseren Gründen betranken.
Evy und Gaby stiegen aus dem Bus, ehe Dany entschieden hatte, wie er auf dieses Gespräch reagieren sollte. Er war betrunken, wütend und zugleich in einer fürchterlich rührseligen Stimmung. Auch er sprang aus dem Bus, stolperte über eine Stufe und segelte der Länge nach auf den Asphalt, so daß er einen Augenblick benommen, geradezu betäubt war, während der Bus wieder schwerfällig und gleichmäßig durch die Dunkelheit der Paßhöhe entgegenfuhr.
Wutentbrannt stieß er die beiden zurück, die ihm aufhelfen wollten, ihn dabei verwünschten und ihn fragten, was zum Teufel er hier suche, und steckte das Taschentuch, das sie ihm reichten, weil sein Gesicht angeblich blutig sei, zwischen die Zähne und zerriß es, um ihnen zu zeigen, was er von ihrer verspäteten Fürsorge hielt.
Er hatte niemanden nötig. Er brauchte niemandem Rechenschaft abzulegen. Er stieg aus, wo er wollte. Er folgte ihnen, wenn er Lust dazu hatte. Sie machten einen Fehler, ihn wie einen Hund zurückzustoßen.
»Sag mal, was ist denn mit dir los?« sagte Evy genervt. »Was machst du da eigentlich? Sieh dich doch mal an! Sieh mal dein Gesicht an! Ach, Scheiße!«
Der Asphalt war schlimmer als ein Reibeisen: Eine Seite von Danys Gesicht war völlig wund gescheuert, und Evy schwankte, ob er ihm helfen oder ihn dort in seinem schlechten Trip im Stich lassen sollte.
»Jetzt reicht’s. Nun halt die Schnauze!« schrie Dany und fand trotz allem die Kraft, sich wieder aufzurichten. »Geh zum Teufel!«
Gaby erklärte, das beste sei, sich nicht um ihn zu kümmern, er könne ja die Nacht in einem Graben verbringen, wenn er Lust dazu habe, und machte sich auf den Weg.
Von dort unten, also sagen wir mal: von dem automatischen Schlagbaum bis zu Evys Haus waren es gut zehn Minuten zu Fuß. Auf der Höhe des Hauses der Fortvilles, die einen kleinen Empfang
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