Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frühstücksfreundin

Die Frühstücksfreundin

Titel: Die Frühstücksfreundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
souverängeküßten Robert. Hier, wo er, wie er findet, normalerweise sitzen müßte, sitzt er jetzt auf der Besucherseite des Louis-seize-Schreibtischs und referiert, die Beine übereinandergeschlagen. Gute Sätze gelingen ihm, weisen ihn als brauchbaren Juristen aus, der Chef unterbricht nicht, läßt ihn reden, läßt sich empfehlen, die in Heimarbeit auf beigefügtem Zettel notierten Punkte zu beachten, denn: die Gegenseite gehe außerordentlich raffiniert vor — er kann das beweisen — hier sei Vorsicht angebracht, sonst könne die Sache teuer werden. Doch dabei läßt es Robert nicht bewenden. Er sagt das, was man sich zu Hause vornimmt und dann doch nicht sagt. Nicht so sagt. Alles sagt er, was den Fall betrifft, in dem er warnt und auch, was ihn selbst betrifft, als Fall, als Fachmann ohne Staatsexamen. Robert vergißt nicht, auf Gehaltserhöhung anzuspielen — der Chef nickt und will sich’s überlegen. Nichts bleibt ungesagt und das, obwohl sein Intimfeind dabeisitzt, der alte Syndikus, der wiedergenesene, und nicht einmal der unterbricht ihn. Wirklich ein guter Tag.

    Für gewöhnlich ging Robert um halb eins zum Essen, wenn die meisten fertig waren und die Kantine sich leerte. Es gab dann nicht mehr die volle Auswahl, doch man saß angenehmer, aß ungestörter. Heute wunderte sich Petra, ihn kurz nach zwölf schon dort zu sehen. Mit ihrem Tablett stand sie in der Schlange an der Ausgabe, da kam er vorbei, mied das Wort Mahlzeit, sagte nur etwas von Luftbedürfnis, kaufte sich am Büffet ein belegtes Brötchen und verließ das Gebäude.
    Sidonies Bank hat keine Kantine. Soviel wußte er. Wohin sie mittags ging, darüber hatten sie noch nicht gesprochen. Wie in seinen Jünglingsjahren vor der Mädchenschule, schlenderte er an dem Säulenportal vorbei, mit seinem Brötchen. Noch einmal zurück und noch einmal vorbei, bis er sich doch etwas albern vor* kam. Nein, die Rolle gefiel ihm nicht. Entweder man ist verabredet, oder man bleibt, wo man hingehört. Gewohnheitsmäßig bog er in die kleine Seitenstraße ein. Hier würde er sie morgen früh Wiedersehen. Auf jeden Fall.
    Das Café war leer, die Tür abgesperrt. Nebenan im Garni Hotel reinigte der Portier seine Nase mit der Bedächtigkeit des erfahrenen Werkmeisters. Robert konsultierte ihn, ließ sich, während er aß, erklären, daß das Café von 11—15 Uhr geschlossen habe und um 18 Uhr 30 wieder schließe. Restaurants seien in diesem Viertel rar, es gebe nur ein sehr teures in der Parallelstraße und eine amerikanische Sandwichdiele, die man mit Krawatte und ohne Lederjacke besser meide.
    Wie dieses Hotel auch, dachte Robert und biß ins Brötchen. Die Halle, hinter Scheiben, denen ein nasses Leder fehlte, hatte Wohnzimmergröße. An der Stirnseite stand die Empfangsbarriere, neben der Eingangstür schirmte ein speckrandiger Chintzparavent drei undefinierbare Polstersessel gegen eine Zugluft ab, die, dem Geruch nach, hier seit Monaten nicht mehr geweht hatte. Ein Treppenaufgang fehlte; neben der abgegriffenen Eisentür des Lifts krümmte sich eine in höheren Räumen aufgewachsene Zimmerpflanze. Roberts zufälliger Blick auf die Tür mit dem Männchen steigerte latente Bereitschaft zum akuten Bedürfnis. Er verschwand. Die Tür klemmte, Robert drückte sie mit der Schulter auf.
    Ja richtig. Franziska wollte er anrufen, ihr berichten von seinem Erfolg beim Chef.
    Auf dem kleinen, vertropften Waschbecken lag eine dünne, ihres Schaumpotentials längst beraubte Seife; die Mechanik des Endloshandtuches klemmte, zwang zum Gebrauch einer nassen Stelle. Schon immer faßte Robert Toilettentüren widerwillig und nach Möglichkeit nur mit dem Ellenbogen an. Er mußte beide Hände nehmen; von innen ließ sie sich nur unter leichtem Anheben öffnen. Das Aufschwenken wollte er mit dem Fuß bewerkstelligen und hakte die Schuhspitze um die Kante.
    »Haben Sie auch Tageszimmer?«
    Die Stimme von draußen lähmte ihn mitten in der Bewegung. Ungläubig blinzelte sein Auge durch den Türspalt.
    Sidonie!
    »Aber hören Sie, im Bankenviertel muß es doch Tageszimmer geben. Die Sitzungen! Ich bin Konferenzdolmetscherin, ich muß mich zwischendurch mal hinlegen können. Überall kann man das, im Ritz in Paris, im Plaza New York...«
    Tageszimmer? Was will sie mit einem Tageszimmer? Wärme durchströmte ihn in der sanitären Anlage. Diese Frau, die er vor Stunden noch in seinen Armen hielt, was durch die Klotür betrachtet überhaupt nicht zu fassen ist, diese Frau, die

Weitere Kostenlose Bücher