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Die Frühstücksfreundin

Die Frühstücksfreundin

Titel: Die Frühstücksfreundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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flotten Auftakt zur Besserung hängt er ihren Vornamen dran: »Sidonie.«
    Noch steckt ihm die zärtliche Berührung in den Gliedern. Aus Verlegenheit will er weiterreden, da sehen die grauen Augen ihn an.
    »Und ich bin oft zu direkt. Entschuldigen Sie, Robert. Ich bin nicht so ausgeglichen wie Sie. Nicht so beherrscht.«
    »Direktheit ist eine Frage der Persönlichkeit«, fällt ihm ein bei der Nähe, die er zu entspannen sucht. »Man muß doch offen miteinander reden können. Wo wir uns schon so lange kennen.«
    »Sie haben also auch das Gefühl?«
    Ihre Augen weichen nicht, die Nähe verdichtet sich. Ein parapsychologisches Buch fällt ihm ein, das ihn sehr beeindruckt hat: Vielleicht waren wir miteinander verwandt, in einem früheren Leben? würde er gern sagen. Doch er nickt nur.
    »Vielleicht waren wir Geschwister, in einem früheren Leben«, sagt sie.
    »Sie glauben auch daran?«
    »Es muß ja nicht so sein. Aber die Vorstellung regt an«, schwächt sie ab, wo nichts mehr abzuschwächen ist, und beginnt, das geschwisterliche Leben auszubreiten. In dieser Inkarnation im achtzehnten Jahrhundert sind beide an ihrem Platz. Während sie drauflos fabuliert, kann er sie ansehen, ihre Hand halten, dem Strom nachspüren, der von ihr herüberfließt. Da weicht sie zurück, entzieht ihm ihre Hand, schaut ihn an.
    »Ich glaube, wir waren doch keine Geschwister.«
    »Sondern?«
    »Ich glaube viel eher, wir hatten eine Liaison miteinander.«
    »Eine heimliche?«
    »Natürlich.«
    »Sie meinen, wir waren beide unglücklich verheiratet?«
    »Im Gegenteil. Sehr glücklich.«
    Ihr Blick ist ernst geworden, die Lippen verharren, wie sie das letzte Wort entlassen haben, warm strömt ihm Atem entgegen, seine Hand liegt auf ihrem Knie, wo sie landete, als sie ihre wegzog. Sidonie ruht in sich, allgegenwärtig läßt sie ihn heranzaudern, holt ihn auf dem Radar des Eros zur Landung herunter, bis er die Arme ausfährt und allen Widerstand bricht, den er selbst gegen sich aufgebaut hat. Robert ahnt den Abgrund, den sie für ihn bereithält. An ihrem dünnhäutigen Ohr vorbei schaut er auf seine Armbanduhr.
    Als er die Tür öffnet, sieht er den Mann kommen. »Ausgerechnet.«
    »Was?«
    »Ach, ein Kollege aus der Firma, den ich nicht ausstehen kann.«
    »Da gibt es nur eines«, sagt Sidonie: »Möglichst offiziell.«
    Gleichzeitig steigen sie aus.
    »Morgen allerseits«, ruft der Kollege aus derselben Etage, frisch und deutlich.
    »Vielen Dank«, ruft Sidonie übers Wagendach, laut und fremd, als habe er sie nur mitgenommen, bei dem Wetter, spannt ohne weiteren Blick ihren Schirm auf und überquert die Straße.
    »Donnerwetter.« Um das zu sagen, hatte der Kollege an der Haupttreppe gewartet. Robert nahm ihn beim Wetter: Autofahrers Bürgerpflicht anläßlich von Wolkenbrüchen. Und rannte die Treppe hinauf. Leicht war ihm und ein bißchen unwirklich vom Höhenkoller dieser Hochminne.
    Guten Morgen, hörte er sich sagen, bereitwillig-tenoral wie ein Empfangschef. Dabei war er nie ein Morgenfröhlicher gewesen, kein Betriebsklimalieferant. Guten Morgen. Ja, scheußlich.
    An Mit- und Nebenarbeiterinnen entdeckte er weibliche Akzente, die sich dort zweifellos schon länger befinden mußten.
    Sidonie! Sidonie!
    »So ein Sauwetter. Ja, scheußlich.«
    Die Sekretärin brachte eine Akte herein, Eisbrenner, natürlich. Mit geschwungenen Hüften. Heute konnte ihm die Arbeit nichts anhaben. Gleichsam jungfräulich las er über juristische Fallstricke, auf der Suche nach seinen Gefühlen, die das Überraschende, das Ungeheuerliche ermöglicht hatten, und fand nur ein Schweben.
    Sidonie!
    Sidonie und er. Ausgerechnet er. Im Spiegel des Waschraums forscht er nach dem, was sie an ihm gefunden haben könnte, rückt die uni Krawatte zurecht, glättet das Haar an den Schläfen und findet nichts. Auch keine Lippenstiftspuren.
    Und da dachte man immer, die Zeiten wären vorbei. Man dachte überhaupt nicht mehr dran. Und plötzlich ist es da. Und er weiß nicht einmal, wie sie heißt. Wieder die gefälligen Hüften im Türrahmen.
    »Zum Chef? Ich? Petra, irren Sie sich auch nicht?« Aber bitte. Wenn der Chef ihn hören will, in der wichtigen Sache — kann er haben. Ein Glückstag — die Ausstrahlung.
    Was früher Erziehung bewirkte, den respektvollen Abstand zum Höhergestellten, das leisten heute Teppichböden. Die Chefetage hat keine Akustik. Im schalltoten Raum kann Mitbestimmung kein Gehör finden. Schalltot macht mundtot. Nicht aber einen

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