Die Frühstücksfreundin
wiederzusehen er loszog mit seinem Brötchen — da steht sie, nur ein paar Meter entfernt. Warum geht er nicht hin? Steht da, den Fuß in der Tür, und sieht heimlich hinaus. Sein Verstand hat mit Hilfe seines schlechten Gewissens das Gefühl abgeschaltet und argwöhnt.
Sie dolmetscht doch gar keine Konferenzen mehr? Warum bestellt sie ein Zimmer? Für wen setzt sie sich persönlich ein, statt anzurufen? Sie hat eine Wohnung, und ihr Mann ist die ganze Woche weg. Ein Doppelspiel? Robert findet sich unmöglich auf seinem Posten. Aber das ändert nichts, der Fuß bleibt in der Tür. Ritz und Plaza haben den Garni-Portier bezwungen. Für wen es denn sein solle.
»Für mich. Gelegentlich«, sagte sie. »Ich habe ständig hier zu tun. Es kann sein, daß ich das Zimmer sehr kurzfristig brauche.«
Die behandschuhte Hand nimmt die Handtasche von der Empfangsbarriere, Sidonie geht.
Jetzt tut es ihm leid. Aber jetzt kann er nicht hinterherlaufen wie ein mieser Lauscher. Ihm ist es ja schon peinlich, daß es ihr peinlich sein könnte. Zu eindeutig war das eben. Bis er aus dem Hotel tritt, ist sie um die Ecke verschwunden. Zu Recht hatte er gleich Zweifel, wieso gerade er es sein sollte. Am besten vergessen, schnellstens. Aber wozu geschieht so was dann überhaupt? Sonderbar. Doch kein reiner Glückstag.
Robert kehrt in die Mahlzeit-Bannmeile zurück. »Mahlzeit, Petra.«
»Ihre Frau. Sie hat schon zweimal angerufen.« Sie stellt das Gespräch durch.
»Wo steckst du denn? Petra sagt, du hättest nicht mal richtig zu Mittag gegessen.«
»Ich war an der frischen Luft, Liebes.«
Sie lacht.
»Du triffst dich also doch mit deiner Frühstücksfreundin.«
Selbst ihr Vorwurf hat etwas Beruhigendes. Robert übergeht ihre Anspielung und berichtet von seinem Gespräch mit dem Chef. Franziska staunt. Das tut ihm gut. Bei ihr kann er hemmungslos von sich berichten. Für Heldentaten ist die Ehefrau zuständig, hier fällt der abschließende Satz:
»Du hättest deine Freude an mir gehabt.«
Und sie hat sie. Auch Franziska kann Positives melden. »Martin hat im Rechnen eine Zwei.«
Jetzt ist die Welt wieder im Lot. Er legt auf. Die Familie. Alles andere ist Unsinn. Woher man seinen Elan nimmt, bleibt letzten Endes sekundär. Hauptsache, man hat ihn im entscheidenden Augenblick. Genauso denkt Karl, fällt ihm auf.
Petra brachte die eilige Sache Langensiepen herein, zur gewohnten Vorbearbeitung. Robert vertiefte sich in die Ablenkung, für die er bezahlt wurde. So wie diese Frau Langensiepen, die er nicht kannte, würde sich Sidonie verhalten, wäre sie in derselben Lage: höflich, distanziert und von ersten Anwälten beraten. An das Tageszimmer will er jetzt nicht denken. Er will, daß es ihm egal ist, für wen sie es bestellt.
Nicht jeder findet alles, was er braucht, bei ein und demselben Partner. So hat sie gesagt. Das ist ihre Sache.
Petra schaute herein und wünschte den um diese Stunde üblichen Schönen Abend noch.
Plötzlich müde, streckte sich Robert, packte die Akte Langensiepen ein und nahm den Lift.
Nach Hause und Tür zu!
Da steht sein Wagen, die Scheiben sind nicht mehr beschlagen, drüben steht ihr Wagen. Noch ein paar Schritte. In zehn Minuten ist der dickste Stau vorbei. Wenn man sich Zeit läßt, hat man das Gefühl, es geht glatter. Ein merkwürdiger Tag. Drüben ist es schon ruhiger; Bankmenschen sind schneller. Ein Mann steht vor dem Säulenportal, offensichtlich wartet er auf jemand. Das Frühstückscafé hat Roberts Blick geschärft. Gut sieht er aus, seriös,'ein älterer Herr, schmaler Kopf, Flanell, uni Krawatte. Robert bleibt in der Nähe stehen: Soll er die Seitenstraße überqueren oder umkehren? Da setzt sich der Herr in Bewegung, kommt vorbei.
»Wiedersehen.«
Zwei Sekretärinnen waren das, aus der Firma. Robert geht weiter, die Straße hinunter, die zwei gehen voraus.
Was kichern die denn? Wäre nicht passiert, was passiert ist, würde er jetzt guten Gewissens nach Hause fahren. Auf dem Absatz kehrt er um.
Da ist Sidonie. Da vorn. Unverkennbar ihre Bewegungen. Sie bleibt stehen, macht eine Gebärde mit den Händen, der ältere Herr geht auf sie zu, küßt sie, nimmt sie an der Schulter und begleitet sie zu ihrem Wagen, wo sie ihn auf der Beifahrerseite einsteigen läßt.
Hat sie nicht kürzlich gesagt, ihr Mann sei in London auf einer Versteigerung? Oder in Florenz. Er kann es nicht sein. Wer dann? Der alte Freund, der Chefarzt. Kommt, solange der Mann weg ist. Für ihn will sie das
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