Die Frühstücksfreundin
anstehen zu lassen, nahm er sie noch einmal unväterlich in die Arme.
Zum zweiten Mal hat es geklingelt. Und noch immer ist sie nicht auf ihrem Platz. Die Türen werden geschlossen, es klingelt zum dritten Mal, das Saallicht wird eingezogen, da entsteht Unruhe am Rand der Reihe, Besucher stehen auf, das Paar kommt, immerhin mit Gesicht zu den Aufstehenden — stellt Robert fest. Meist wird man ja mit scheuernden Hinterteilen traktiert. Der Kunstkenner murmelt Entschuldigung, Sidonie kann Robert ihre Bitte um Verzeihung zulächeln, während sie sich langsam und eng vorbeischiebt. Sogar ihren Atem spürt er, streckt im Halbdunkel die Hand vor und läßt ihre Schenkel vorbeistreifen. »Immer kommen die auf den Mittelsitzen zuletzt«, flüstert Franziska und holt sich die Schenkelhand. Der Vorhang geht auf. Hände rühren sich, das originelle Bühnenbild zu beklatschen. Robert schaut hin, mit abgeschaltetem Bewußtsein. Das Bild, dem sein Beifall gilt, sitzt sechs Plätze weiter. Ein Blick kommt zustande. Durch die geschweifte Reihe mühelos. Robert muß die Stromkreise trennen, damit Sidonies Blick nicht weiterfließt, in Franziskas Hand. Da lachen die Leute.
Schauspieler sind aufgetreten oder waren schon da. Mitten im Zimmer stehen sie, halten einander fest. In einem Zimmer voll verschnörkelter, lackierter Bürgerpracht.
Wie das Appartement.
Franziska hat sich vorgeneigt, er neigt sich zurück:
Ist das nicht komisch? sagen seine Augen, und die ihren antworten: Was habe ich gesagt? Wer nie heimlich liiert war, weiß nicht, wie das Schicksal übertreibt. Auf der Bühne rühren die Darsteller an Dinge, von denen sie nichts wissen können; die wahre Komödie wird im Zuschauerraum gespielt. Ihr Robert hat tatsächlich ein imposantes Profil, der Vatermann. Jetzt zieht die Schauspielerin ihr Kleid aus, legt sich auf das Bett, der Partner macht sich in der Kochnische zu schaffen. Sie sind, wie aus dem Text hervorgeht, liiert.
Sidonie hebt die Augenbrauen; er versteht die Sprache ihres Gesichts: und zum Zeichen der Sendepause lehnt sie sich zu ihrem Robert. Franziskas Robert schaltet auf den anderen Stromkreis um — prompt lehnt sich Franziska zu ihm. Ein Druck ihrer Hand, er schaut sie von der Seite an. Hübsch sieht sie aus, sehr hübsch. Er lehnt sich zurück, sieht Sidonie.
Kann man zwei Frauen gleichzeitig lieben?
Eines steht fest: Das Doppel bekommt ihm. Er arbeitet ruhiger, grübelt nicht mehr über Erfolgsaussichten nach, läßt geschehen. Den schwierigen Fall hat man ihm nicht entzogen; der Chef entscheidet selbst darüber, nach seinem Rat. Wie Sidonie gesagt hat. Wieder sendet er Impulse hinüber und gleichzeitig in Franziskas Hand. Sofort antwortet sie mit Gegendruck. Schön, ihre verspielte Zärtlichkeit, bei der er sich stark fühlt. In Sidonies Armen will er der Verwegene sein, erfinderisch, jünger, als es seinen Jahren entspricht, ohne sich überfordert zu fühlen.
Ja, er kann zwei Frauen lieben.
Das Publikum lacht über irgend etwas. Sidonie schaut herüber, sehr ernst. Sie sieht Franziska an, die ein wenig schmunzelt. Fast ist es ihm peinlich. Was denkt sie sich? Würden sich die beiden verstehen? Franziskas Optimismus täte Sidonie gut. Andererseits wäre Sidonies Selbstsicherheit für Franziska ein Ansporn. Wie würde sie reagieren, wenn er ihr die Wahrheit sagte? Das Publikum lacht ausdauernd über eine neue Person auf der Bühne, die Ehefrau des Liebhabers, lacht über ihre Ahnungslosigkeit. Sidonie lacht nicht, Franziska lacht nicht, beide Roberte lachen nicht. Noch ein paar knallige Sätze, dann schließt sich der Vorhang, der Kronleuchter senkt sich herab und erstrahlt.
Pause.
»Die Schwächere als komische Figur — ein dummes Stück«, sagt Franziska und steht auf. Er nickt.
»Ich kann da auch nicht lachen.«
Sie reden nicht weiter darüber. Robert haßt es, schon in der Pause lauthals Kunstverstand zu verströmen. Auf dem Weg ins Foyer bietet sich keine Gelegenheit, nach Sidonie zu schauen. Draußen dreht er sich um. Zuschauer quellen ihm entgegen, mit unbeteiligten, dabei nicht unzufriedenen Mienen, sich dem Buffet zuwendend. Auch Franziska schaut sich die Leute an. Von hinten kommen Sidonie und ihr Robert. Sie schaut beredt, doch was sie sagen will, kann Robert nicht verstehen. Schon verschwindet sie im Gedränge. »Möchtest du was trinken, Liebes?« fragt er im Zugzwang zwischen halben Genüssen. Franziska zieht frische Luft dem lauwarmen Schaumwein vor. Er nimmt sie am Arm, sie
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