Die Frühstücksfreundin
Jetzt wendet sie sich ihrem Spiegelbild zu.
Robert, im feinen Nadelstreif aus der Savile Row, erledigt die Abgabe an der Garderobe neben Robert im Dunkelblauen aus der Maßkonfektion, in der Hand die Plastiktüte mit Franziskas festen Schuhen. Er empfindet Rivalenachtung für den Kunstkenner mit dem dichten weißen Haar und den gefleckten Handrücken. Da sieht er die Karten.
Dieselbe Reihe!
Das geht in die Knie.
Auch Sidonie hat sich ihrem Spiegelbild zugewandt. Er dreht sich um, gerade im rechten Augenblick für den Seitenblick, mit dem sie Franziska auszieht und wieder an, durchrechnet und durchleuchtet, modisch, anatomisch, charakterlich. Bis sie im Spiegel auf Roberts Blick trifft, der hinter ihr steht, tatenlos mit seiner Krawatte beschäftigt.
»Ist es dir so recht?«
Franziska hat sich ihm zugewandt; Sidonie sperrt die Blickbrücke mit der Hand, tastet nach der Frisur. Seine Antwort gilt eigentlich ihr.
»Ja, Liebes. Sehr.«
»Dann bin ich beruhigt.« Franziska faßt seinen Arm. »Hast du schon ein Programm?«
Wäre es nach ihr gegangen, sie hätte ihr Gelbes angezogen. Doch das unterband er in ungewohnt rüdem Ton. Schon gestern gab es Differenzen, als Robert ihr einen neuen Mantel kaufen wollte, und zwar sofort. Den alten in der Hand, schimpfte er drauflos:
»Den ziehst du nicht mehr an! Der kann mir zuviel. Überall diese Schneiderkunststückchen. Du brauchst was Schickes, Einfaches.«
Franziska reagierte gelassen, sie brauche nichts und wolle auch nichts.
»Ich habe den Eindruck, es ist dir völlig gleich, ob du mir gefällst oder nicht.«
»Aber Robert«, sagte sie nur, und er explodierte, ohne geeignete Wortmunition:
»Du... du bist schrecklich unkompliziert.« Schließlich einigten sie sich auf einen Kompromiß. Franziska ließ sich einen Mantel kaufen, unter der Bedingung, daß er ihr anschließend eine Stunde Fahrunterricht gebe. Und sie lenkte die Familienkutsche umsichtig und mit verblüffendem Geschick.
»Hier hast du das Programm.«
Während sie liest, kann er sich umsehen, wie ein interessierter Theaterbesucher, kann sagen »Sehr gutes Publikum«, damit er sich weiter umsehen kann, den Namen einer ortsbekannten Familie nennen und abzählen: Sechs Plätze von ihm entfernt wird sie sitzen — wenn er richtig gelesen hat — , im Halbrund der Sitzreihen gut sichtbar. Aber sie ist noch nicht da. Die Leute auf K&K’s Plätzen kennt er nicht. Bei den Freunden hat es massiven Ärger gegeben. Nicht wegen Christine, die war längst ausgezogen. Und doch wegen Christine: Karl ging von dem freien Abend nicht mehr ab, er ersparte Karin nichts.
»Es kann doch sein, daß ich mal eine Freundin habe und mit ihr zusammen sein will, einen Abend in der Woche.«
Karins Antwort: »Dann kannst du überhaupt dort bleiben und ziehst am besten gleich aus. Das Haus gehört mir.«
Es klingelt zum ersten Mal. Sidonie ist noch nicht auf ihrem Platz. Auch bei ihnen hat es Ärger gegeben. Eigentlich lag das an ihrem Robert, der gerade aus London zurückgekommen war. Höflichkeitshalber hatte er sich nach ihm erkundigt. Sidonie stimmte eine Lobeshymne an, als gelte es zu beweisen, wie stolz sie auf ihn war. Bei Sotheby sei er gewesen und habe Kunstgegenstände ersteigert, für eine horrende Summe, in anonymem Auftrag. Und sie zitierte ihn:
»Es geht darum, die Kunst des christlichen Abendlandes nicht ins islamische Morgenland abwandern zu lassen. Ölmillionen sind kein geeignetes Tauschobjekt für Kulturgüter.«
Da hatte er, mit Absicht, gefragt, was der große Kenner wohl zu der verschnörkelten Bürgerpracht ihres Appartements sagen würde, und wieder antwortete sie druckreif:
»Lack macht alles Unechte erträglicher; Ablaugen macht Neueres alt! Sagt Robert immer.«
Dieser hochkultivierte Mann lebte offenbar nicht nur in Kunst-, sondern auch in Zitatenschätzen. Einmal auf dem Gleis, fragte er weiter, wie es denn bei Kunstkenners zu Hause aussehe. Wieder antwortete sie mit einem Satz, der nach ihrem Robert klang:
»Wir haben wenige, erlesene Stücke, die frei stehen, für sich selber sprechen. Keine Häufung.«
Die Robert-Sätze ärgerten ihn, und daß Sidonie sie so auf der Zunge zergehen ließ, ärgerte ihn zusätzlich. Sie hatten nie über das Thema gesprochen. Ihre Gegenfrage kam daher nicht überraschend, aber auch sie ärgerte ihn, und er sagte:
»Wir haben keine erlesenen Stücke, wir haben Kinder.« Jetzt wurde Sidonie ärgerlich; das Thema mußte sie treffen. Um keine Unstimmigkeiten
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