Die Frühstücksfreundin
Sebastian mußte geigen. Im Zimmer. Omilein thronte auf dem Sofa, umrahmt von der Familie und den Freunden mit Kindern, wie auf einem höfischen Genrebild, passend zu dem höfischen Händel, den Sebastian darbot, mit federnder Hand und gelegentlich hüpfendem Bogen.
Sidonie liebt Händel. Daran darf Robert jetzt nicht denken.
»Klingt gut, Sebastian. Sehr gut. Du warst fleißig.« Omilein klatschte mit ihren schweren, gepflegten und bestückten Händen, als habe sie graziöse Beifallsposen studiert. Mit einem Rundblick überzeugte sie sich, ob ihr alle zuhörten:
»Das Instrument ist auch sehr teuer gewesen.«
Das zweite Stück, mehr der Fingergymnastik gewidmet als melodiösem Ablauf, beunruhigte Jennifer und Martin. Weil sie stillsitzen mußten, merkten sie, daß auch ein Jüngerer Achtung verdienen kann, selbst wenn er Kopfsprünge ins Wasser verweigert. Damit bekam Omileins Wunsch eine pädagogische Nebenwirkung, die der alten Dame nie eingefallen wäre. Sebastian führte den Bogen wie eine Laubsäge, und der Klang nach emsiger Heimarbeit verstärkte diesen Eindruck.
Robert ging das Familiengetue auf die Nerven. Wie kam er eigentlich dazu, hier still dabeizusitzen? Wie kam er dazu, sich von Franziska schlecht behandeln zu lassen? Von Sidonie geschnitten zu werden? Alles hing mit Karl zusammen. Der Freund war es, der Unruhe brachte, ihm die Weichen falsch stellte.
Klingeln an der Haustür unterbrach die erzwungene Besinnung. Karin stand auf, Sebastian nahm die Geige herunter und legte sie auf den Marmortisch vor dem Sofa, der Spenderin gewissermaßen zu Füßen. »Omilein, ein Paket für dich. Du mußt es gleich bezahlen.«
Wie Karin den letzten Satz betonte, das klang nachgerade genußsüchtig. Bemüht, den für ihre Generation zu niederen Sitz damenhaft und graziös zu verlassen, scheiterte Omilein beim ersten Versuch. Den zweiten unternahm sie ihrem Temperament gemäß. Mit Erfolg. Doch ein gewisser Überschuß an Schubkraft machte ein Abstützen auf dem Marmortisch erforderlich. Omilein fuhr die bestückten Hände zur Landung aus, die vor ihr liegende Geige wurde zur Knautschzone. Splitternd und krachend fing sie das Gewicht mit Verformung ab, bis alle Energie aufgezehrt war und die alte Dame unversehrt auf ihren festen Beinen stand.
»Was mußt du die Geige auch hierherlegen. Die teure Geige!«
Ein Tritt auf ein Bruchstück, und mit Trippelschritt-chen weit unter ihrer wahren Schuhnummer durchquerte sie den Raum.
»Wo ist meine Handtasche? Karli, hast du meine Handtasche gesehen? Ich muß doch bezahlen. Oder kannst du’s mir auslegen?«
Und der Sohn, dessen Erziehung nicht umsonst Tausende gekostet hatte, nickte und folgte ihr.
Gelassen klaubte Sebastian die Trümmer zusammen: »Jetzt brauch ich wenigstens nicht mehr zu üben.«
»Mann! Bei deiner Kondition darfst du keinen Tag mit dem Training aussetzen«, sagte Martin wie ein wohlmeinender Freund. Die alte Dame kam zurück, gefolgt von Karl mit einer Pappschachtel.
»Ach, da ist ja meine Handtasche.«
Nachdem der brave Sohn bezahlt hatte, fand sich das gesuchte Stück wie von selbst. Kein Wort mehr über die Geige, das Paket beschäftigte Omilein und damit alle Anwesenden. Wenn ein Geschäftsinhaber Ware am Samstagnachmittag höchstpersönlich anliefert, fällt das nicht unter Kundendienst, sondern unter Selbstschutz. Der Händler kennt diesen Käufertyp, dem das Omilein zugehört, und rechnet sich aus, daß hier zeit- und nervenraubende Reklamationen nur durch Entgegenkommen zu verhindern sind. Der Pappkarton enthielt das Kleid, das Omilein am Abend anziehen wollte, wenn sie mit Karl ins Theater ging. Sie hielt es vor sich, drehte sich Bewunderung fordernd und trat in den Pappkarton. Fast wäre sie gestürzt, hätte Robert sie nicht aufgefangen.
»Wissen Sie schon das Neueste?« fragte Tiedemann am Montagmorgen, »unsere Frau Sidonie liegt im Krankenhaus.«
Robert hatte Mühe, seine Bestürzung in die Grenzen freundlicher Besorgnis zurückzudrängen.
»Etwas Ernsthaftes?«
»Genaueres weiß man noch nicht«, sagte der Herr von der Bank, dem die Nachricht zu verdanken war. »Frauen haben manchmal Sachen, über die man nicht spricht.«
Dieser Tiedemann-These schlossen sich auch die anderen Herren an; Robert nickte solidarisch hinterher. Die gemeinte Region sollen sich die Frühparker bei Sidonie gar nicht erst vorstellen. Schon der Gedanke an mögliche Phantasien ist ihm zuwider. Seine Unruhe hat sich über das Wochenende zu höchster
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