Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frühstücksfreundin

Die Frühstücksfreundin

Titel: Die Frühstücksfreundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
damit Sidonie ihn ansehen muß, wenn sie antwortet. »Das hängt von den Ärzten ab.«
    Ihr Blick besagt, was sie damit meint, und Robert spricht den Herren aus der Seele.
    »Sie fehlen uns sehr. Wir hoffen, daß wir Sie bald wieder in unserer Mitte begrüßen dürfen.«
    Was rede ich denn da für einen Text? denkt er und schickt einen liebevollen Blick hinterdrein; die Herren nicken, Sidonie sieht ihn an und dankt mit einem tiefen Blick. Die Unruhe der letzten Tage ist weg, als habe man ihn aus einem Stromkreis herausgenommen. Zärtlich sieht er sie an, liebevoll. Da geht die Tür auf und herein kommt — nein, das gibt es nicht, solche Zufälle mag sich einer ausdenken, aber nicht das Leben — herein kommt Christine.
    Roberts Drüsensystem pumpt alle verfügbaren Abwehrstoffe in die Blutbahn. Noch herrscht Stille im Raum, wie im Gehege der Großkatzen, wenn eine neue Löwin eintrifft. Der Dompteur muß abwarten. Ein kleines Zögern im Schritt, mehr Witterung als Blick — Christine hat Sidonie erkannt und Sidonie Christine. Von den Augen beider kann er’s ablesen und weiß noch nicht, was geschehen wird. Da grüßt ihn Christine, freundlich, ohne Aufenthalt, wie einen Bekannten, der auf der anderen Straßenseite vorbeigeht, und tritt zu dem Mädchen an das zweite Bett. Sidonie riecht an Blumen, ohne Blick. Glücklicherweise füllt Tiedemann die endlosen Sekunden mit Belanglosigkeiten. Bis Sidonie ihn unterbricht:
    »Meine Herren, es war reizend von Ihnen, mich zu besuchen. Aber Sie müssen jetzt bitte gehen. Der Arzt kommt gleich.«
    Jedem drückt sie die Hand, vollendet unverbindlich, auch Robert, übertönt mit Worten des Dankes Christines Stimme, die im Hintergrund mit dem Mädchen redet und sogar einmal herüberlächelt. Sidonie lächelt nicht mehr. Sie will jetzt die neue Löwin beschnuppern, die Löwen ziehen ab wie Pudel. Als Robert die Tür schließt, hört er sie sagen:
    »Haben wir uns nicht schon gesehen?«
    »Doch«, hört er Christine noch antworten. Dann ist er draußen. Tiedemann dreht sich nach ihm um.
    »War das nicht das Mädchen, mit dem ich Sie kürzlich gesehen habe?«
    »Ja«, sagt seine Stimme. Robert selbst weiß im Augenblick gar nichts, kann nicht mehr gehen, folgt nur seinen Füßen und saugt Luft ein, Luft.
    Das muß einer von diesen Schreckmomenten gewesen sein, die das Leben verkürzen sollen, weil die in die Blutbahn eingeflossenen Abwehrstoffe nicht gebraucht und somit nicht abgebaut, sondern noch lange vom Kreislauf mitgeschleppt werden. Ähnliches hat er einmal gelesen. Schon wieder bemüht sich Tiedemann um ihn.
    »Was ist mit Ihnen? Sie sind so blaß.«
    »Mir bekommt Krankenhausluft nicht.«
    Jetzt lassen sie ihn in Ruhe; einer der Herren nimmt ihn im Wagen mit zurück.
    Die Stadt ist wirklich groß genug, um ein gewisses Mindestmaß an Anonymität zu garantieren. Andererseits ist ein Krankenhaus natürlich ein Knotenpunkt.
    Wer nie heimlich liiert war, weiß nicht, wie das Schicksal übertreibt.
    Sidonie!
    Sie, die nichts riskieren will, liegt jetzt da, im Bett, hilflos, ausgesetzt.
    Was mögen die beiden miteinander reden? Was denkt sie? Was denkt Christine? Mußte das sein? Alles ist gutgegangen, harmonisch, und da muß Christine hereinplatzen. Warum tritt dieses Mädchen dauernd in sein Leben? Robert will Ruhe, ein bißchen Glücklichsein. Ist das zuviel verlangt? Er liebt Franziska. Und er liebt Sidonie. Jawohl. Ist das ein Verbrechen? Was kann er dafür? Wem tut er weh damit? Ist das denn so schlimm?
    In diesem Fragenkarussell verbrachte Robert seinen Büronachmittag. Nur wenn Petra mit Unterlagen zu ihm kam, ließ er ein paar Runden aus und widmete sich der Arbeit. Bis die Gedanken ihn zurückholten. Ähnlich verlief der Abend. Jennifer und Martin lenkten ihn ab. Dann mußten sie ins Bett. Franziska hatte sich schon umgezogen und ging zu ihrem ehefreien Fahrunterricht. Gelegentlich sprang Robert von seinem Karussell ab, holte sich Trost im Bauernschrank. Wirksamere Ablenkung brachte das Telefon. Wer konnte das sein? Karin. Oder Karl. Robert verteidigte seine Ruhe, die er nicht hatte. Erst als es zum dritten Mal läutete, innerhalb von zehn Minuten, nahm er den Hörer ab. Es konnte etwas Wichtiges sein.
    »Hallo Robert. Können Sie reden? Sonst sagen Sie einfach falsch verbunden.«
    »Christine.«
    Obwohl ihr später Anruf nicht unbedingt Gutes bedeuten muß, hört er ihre Stimme gern.
    »Ich wollte Sie im Büro anrufen. Aber heute nachmittag ging’s einfach nicht«,

Weitere Kostenlose Bücher