Die Frühstücksfreundin
verheiratet.«
Das kann ihm Robert erklären, wenn auch mehr mit gängigen als mit schlagenden Formulierungen. Er hält sich an Bekanntes, an Vaterkomplex und Ehe der Eltern, die für solche Reaktionen mitverantwortlich sei. Verwunderlicherweise will der Chef noch mehr wissen. »Wissen Sie, wo sie herkommt?«
Diese Frage kann Robert nicht beantworten, um so ausführlicher jedoch die nächste:
»Und wo haben Sie sie hingebracht?«
Obwohl ihm die Neugier allmählich merkwürdig vorkommt — hat der Mann denn nichts anderes zu tun? — berichtet Robert weiter. Knapp von den Umständen, ausführlicher von der Wohnung. Er gibt sich Mühe, anschaulich zu schildern, bleibt aber psychologisch Boulevard: der konservative Vater, der die junge Generation nicht versteht, nicht genug Zeit hat, mit Geld regelt, was ihm mit Autorität nicht gelingt, und das Mädchen, das unter dieser Kühle leidet, nicht übersehen werden will, wie der Auftritt zeigt, das um Aufmerksamkeit kämpft, wenn es schon kein Verständnis und keine Liebe findet. Sidonies Vaterbindung fällt ihm ein und muß auch noch herhalten:
»Mädchen, die auf ältere Männer fliegen, sind meistens vater gestört.«
Immer noch geht der Chef auf und ab, vor dem Gobelin an der Wand, der Robert jetzt erst auffällt. Da bleibt er stehen: Was kommt jetzt?
»Sie sehen das, wie mir scheint, sehr richtig. Ich sage Ihnen das nicht gern. Es ist mir sogar peinlich.« Blaß wirkt er auf einmal, wie seine beige uni Krawatte, tastet nach dem Schreibtisch. »Aber ich habe Vertrauen zu Ihnen: Dieses Mädchen ist meine Tochter.«
Die Überraschung hat einen Zeitzünder. Zuerst geht Robert ein Nebenlicht auf. Birgit sieht ihrer Mutter ähnlich; das Gesicht, das ihm auffiel, gestern abend. Dann kommt das Erstaunen, schließlich der Schreck: Hat er zuviel gesagt? Egal. Was gesagt ist, ist gesagt. Wie der Chef ihn ansieht! Wie ein Patient den Arzt. »Was soll ich tun? Was meinen Sie?«
Robert ertappt sich dabei, daß er Frage und Blick genießt. Er gibt seinem Chef Ratschläge, souverän, mit Fingerspitzengefühl.
»Schauen Sie nach ihr. Aber rufen Sie nicht an vorher, fahren Sie einfach hin. Reden Sie mit ihr. Nicht als autoritärer Vater, als Mensch.«
Da streckt sich ihm eine weiche Hand entgegen, Robert drückt sie und vernimmt den Traumsatz aller Angestellten, erlebt den Chef auf gleicher Ebene, als Mitmensch mit einem Kummer:
»Ich danke Ihnen. Und... noch etwas: Die Sache bleibt unter uns.«
10 . Disziplin in der Öffentlichkeit
Sidonie liegt am Strand, wie fleischgewordenes Reizklima. Ihre gebräunte Haut mit dem seidigen Schimmer, die Art, wie sie sich ausgestreckt hat, runden den Anblick zum ästhetischen Genuß. Neben ihr im Liegestuhl unter dem Sonnenschirm, in langer weißer Hose, mit langen Ärmeln das Hemd und in ein Buch vertieft, ihr Mann. Zehn Sonnenschirme weiter, unter dem elften, im Liegestuhl, das Haar in einem Sonnenhut gefangen, Franziska. Auch sie liest, im dunklen Badeanzug zur hellen Haut. Neben ihr, in uni Badehose, die blasse Haut mit glänzender Schutzschicht der Bestrahlung voll darbietend, Robert. Er gähnt und gähnt.
»Du bist das, was man urlaubsreif nennt.«
Damit trifft Franziska einerseits ins Schwarze, andererseits daneben. Robert hat kaum ein Auge zugetan in der letzten Nacht. Nicht weil Jennifer und Martin ihn gestört hätten — die haben ihr eigenes Zimmer — , es war die Nähe.
Und Sidonie wußte von nichts. Auch Franziska nicht, die ihn auf die Idee gebracht hatte, überhaupt den Versuch zu machen, an diese Costa mit dem komplizierten Namen zu fahren. Rein auf Sidonies Beschreibung hin und mit der Hilfe eines Reisebüros. Es gab da zwei Hotels, die zusammen denselben Badestrand hatten. Das wußte er. Im einen wohnte Sidonie, das andere, so fand er, hätte genau den richtigen Abstand, um sie im Auge behalten zu können. Robert wußte auch, daß Sidonie in dem vorderen der beiden Hotels ein Zimmer nach Osten, das heißt, auf der vom Meer abgewandten Seite, bewohnte, weil sie das Rauschen der Brandung störte. Sie war ja nicht zum ersten Mal dort. Folgerichtig hatte er sich bemüht, im hinteren, leicht nach der Seite versetzten Hotel ein Zimmer nach Westen zu bekommen. Mit Blick aufs Meer.
Zunächst sah es hoffnungslos aus, seine präzisen Wünsche in der kurzen Zeit zu verwirklichen. Aber im Süden klappt etwas, wenn es klappt, nach anderen Gesetzen. Ohne den jungen Italiener im Reisebüro wäre es nie gelungen. Von Robert in
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