Die fünf Leben der Daisy West
Miller aus Briarwoods, ist ebenfalls ums Leben gekommen.
Obwohl Sanitäter weniger als fünfzehn Minuten später an der Unfallstelle waren, konnte keins der zwanzig Kinder zwischen vier und elf Jahren gerettet werden. Auch für die Busfahrerin kam jede Hilfe zu spät.
»Es ist die schlimmste Tragödie, die wir hier je erlebt haben«, sagte Phillip D. Grobens, Polizeichef der nahe gelegenen Stadt Bern, wo sich die Brown Academy befindet. »Meine Gedanken sind bei den Eltern dieser Kinder sowie bei Ms Millers Angehörigen.«
Einer Augenzeugin zufolge scherte der Bus seitlich aus, um einem entgegenkommenden Fahrzeug auszuweichen, das über die Mittellinie einer zweispurigen Brücke gefahren war. Die Augenzeugin hatte den Eindruck, Glatteis auf der Brücke könnte dazu beigetragen haben, dass Miller die Kontrolle über den Schulbus verlor. Zeugin Lacy Pine (18) aus Bern sagte: »Der Bus geriet ins Schlingern. Einen Moment lang sah es so aus, als hätte die Fahrerin den Bus danach wieder im Griff. Doch dann brach er hinten nach links aus, rutschte in hohem Tempo auf das Geländer zu und dort hindurch. Es war schrecklich. Das Eis hat den Bus sofort verschluckt, ohne dass jemand etwas hätte tun können. Er ist einfach gesunken.«
Trotz dieser und anderer ähnlicher Zeugenaussagen wird der Leichnam der Fahrerin Miller laut Grobens obduziert werden, um jeglichen Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenmissbrauch beziehungsweise eine Krankheit auszuschließen, die zu dem Unfall beigetragen haben könnte. Miller war erst seit sechs Monaten als Busfahrerin tätig.
»Angesichts so vieler zerstörter Familien müssen wir jeder Möglichkeit nachgehen«, erklärte Grobens.
Die Namen der Kinder werden veröffentlicht, sobald alle Familien benachrichtigt worden sind. Grobens zufolge waren die Eltern eines Kindes zum Zeitpunkt des Unfalls verreist und konnten bislang noch nicht kontaktiert werden.
Die Brown Academy ist eine der besten Privatschulen des Bundesstaates Iowa. Kinder von der Vorschule bis zum Ende der High School werden dort unterrichtet. Die Einrichtung zeichnet sich nicht nur durch ihren hervorragenden akademischen Standard aus, sondern auch durch das Stipendien-Programm, das sich an Familien mit niedrigerem Einkommen richtet. Die Direktorin der Brown Academy, Elizabeth Friend, sagte in einer Stellungnahme: »Wir trauern mit den Familien und Freunden, die ihre Lieben bei diesem schrecklichen Unglück verloren haben. Jedes einzelne dieser Kinder war etwas Besonderes und verdient für immer einen besonderen Platz in unserem Herzen.«
Die Brown Academy bleibt diese Woche geschlossen und bietet Schülern und Eltern eine kostenlose psychologische Beratung an.
Die Polizei bittet weitere Zeugen, sich unter 555-2301 bei der Iowa Highway Patrol zu melden.
»Oh Mann«, sagt Matt, nachdem er zu Ende gelesen hat, »das ist heftig.«
»Ich weiß, aber jetzt schau dir einmal an, was daraus geworden ist. Fast allen konnte geholfen werden.«
»Und wie vielen nicht?«, will er wissen.
»Warte mal.« Mit einem kurzen Winken lasse ich den Ordner mit den Zeitungsartikeln verschwinden und öffne das Dokument, in dem die Personen aufgelistet sind, die sich in dem Bus befanden. »Sechs der Passagiere sind für immer gestorben. Die Fahrerin auch. Macht sieben.«
Matt und ich überfliegen die Namen.
Tia Abernathy, Michael Dekas (X), Andrew Evans (X), Timothy Evans (X), Nathan Francis (X), Cody Frost, Marissa Frost, Joshua Hill, Tyler Hill, David Katz, Daisy McDaniel, Elizabeth Monroe, Anne Marie Patterson (X), Marcus Pitts, Chase Rogers, David Salazar, Wade Seargeant, Gavin Silva, Kelsey Stroud (X), Nicole Yang.
Ich sehe Matt von der Seite an und stelle fest, dass er noch immer die Namen betrachtet.
»Dein richtiger Name ist also McDaniel?«
»Ja«, antworte ich.
»Wenn du deinen Namen nicht geändert hättest, würden wir bei der Vergabe des Abschlusszeugnisses ganz dicht beieinandersitzen«, sagt er gedankenverloren. Er starrt wie hypnotisiert auf die Liste und deshalb winke ich sie nicht gleich weg.
»Du bist ein Jahr älter als ich«, erinnere ich ihn, »wir machen gar nicht zusammen unseren Abschluss.«
»Ach, stimmt ja. Das vergesse ich immer, weil wir zusammen Englisch haben.«
»Eben«, sage ich. »Und wenn ich nicht gestorben wäre und meinen Namen geändert hätte, dann wäre ich gar nicht in Omaha.«
Eine Pause entsteht. Ich würde zu gern wissen, was Matt denkt. Aber das wäre mit Sicherheit die abgedroschenste
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