Die fünf Leben der Daisy West
ich aber auch unglaublich neugierig, worum sie ihn bitten wird.
Megan hält inne, um zu hören, was David sagt.
»Klar, aber das sollte nicht allzu schwierig sein. Letztes Wochenende habe ich auf einer Online-Party jemanden kennengelernt. Wir haben uns gut verstanden und ich würde gern über Facebook Kontakt aufnehmen. Das einzige Problem ist, dass ich mich nicht an den Vornamen erinnern kann.«
Pause.
»Ja sicher. Der Nachname ist Emerson und zwar aus Franklin in Nevada.«
Pause.
»Echt? Du hast doch sonst immer so gute Ideen! Ich weiß, dass die Familie gerade erst nach Franklin gezogen ist. Vielleicht kannst du neue Internetverbindungen prüfen?«
Pause.
»Den lokalen Wasserversorger anzuzapfen, ist noch besser! Du bist genial!«
Pause. Kichern.
»Klar, ich weiß, dass du viel zu tun hast. Ich werde dir auch für immer dankbar sein und ...«
Pause.
»Weißt du was? Ich bin mir nicht einmal sicher!« Megan fängt an, laut zu lachen, und ich kann David am anderen Ende der Leitung ebenfalls lachen hören. Als sie sich wieder beruhigt haben, sagt David etwas.
»Super«, antwortet Megan. »Danke für deine Hilfe.«
Pause.
»Du auch. Ciao.«
»Was war denn so komisch?«, frage ich Megan, nachdem sie das Gespräch beendet hat.
Sie grinst mich an. »Ihm ist aufgefallen, dass ich nicht ›er‹ oder ›sie‹ gesagt habe, und er wollte wissen, ob er nach einer weiblichen oder einer männlichen Person suchen soll.«
»Und?!«, frage ich und muss ebenfalls lachen.
»Er weiß, dass ich letzte Woche an einer Online-Party für transsexuelle Jugendliche teilgenommen habe, deshalb hat er es mir sofort abgenommen, dass ich keine Ahnung habe.«
»Du bist genial«, schwärme ich und umarme sie.
»Gleichfalls, Miss D.«
Ich bleibe über Nacht bei Megan. Das mache ich immer, wenn wir in Seattle sind. Wir haben es uns in Schlafanzughosen und bequemen T-Shirts mit schrägen Sprüchen auf ihrem flauschigen rosafarbenen Teppich gemütlich gemacht, futtern Popcorn und sehen fern. Irgendwie kommen wir dabei auf anzügliche Halloween-Kostüme zu sprechen.
»Das Thema sollten wir uns für den Blog aufheben!«, rufe ich, während ich auf dem Weg nach draußen bin, um auf die Toilette zu gehen. Als ich zurückkomme, sitzt Megan an ihrem Schreibtisch und tippt hektisch etwas in ihren Computer.
» So eilig ist es nun auch wieder nicht mit dem Bloggen«, sage ich und lasse mich auf ihr Bett fallen. Ich drehe mich auf den Rücken und lache, als ich das Poster von Jake Gyllenhaal an der Decke erblicke. Meine Freunde könnten einen Jake-G.-Fanclub gründen. Wirklich nachvollziehen kann ich es nicht. Ich finde ihn viel zu alt.
»David hat’s geschafft.«
»Hat er angerufen?«, erkundige ich mich, die Augen nach wie vor an die Decke gerichtet.
»Ja, und er hat mir den Namen durchgegeben. Jetzt habe ich unser Mädchen tatsächlich gefunden!«
Ich springe vom Bett auf, haste zum Schreibtisch und schaue Megan über die Schulter: Sie ist auf Facebook und schreibt gerade einen witzigen Kommentar, zusammen mit ihrer Freundschaftsanfrage. Ich lese ihn und lache, doch als ich das Foto sehe, erstirbt mein Lachen.
Das Haar ist kürzer und hat eine andere Farbe, doch das Gesicht ist unverkennbar.
Es ist ...
Oh Gott.
Oh mein GOTT.
»Wie heißt sie mit Vornamen?«, frage ich tonlos, da Vornamen ja nie geändert werden. Das wäre die Bestätigung.
Megan blickt lächelnd auf.
»Total süß, offenbar ist sie Irin und heißt Nora.«
Drei Mal durchschreite ich Megans Zimmer, bevor sie mich dazu bringt, mich hinzusetzen.
»Mädchen, du stolperst noch«, sagt sie und setzt sich vor mich. »Was ist los?«
Laut seufzend greife ich nach einem von Megans Kissen und drücke es mir auf den Bauch.
»Ich bin mit ihr in Frozen Hills zur Schule gegangen«, sage ich und zeige vorwurfsvoll auf den Computer. »Und sie ist diejenige, die mich nach dem Kino gesehen hat.«
»Daisy!«, sagt Megan und verdreht die Augen. »Das Profilbild ist winzig klein – das könnte auch ich sein. Du flippst vollkommen grundlos aus.«
»Tu ich nicht«, entgegne ich entschieden. »Ich weiß, wie sie aussieht. Sie hat in derselben Straße gewohnt wie ich.«
»Warte mal, was hast du gerade gesagt?«, hakt Megan nach. »Und wie kommt es dann, dass ich heute zum allerersten Mal von ihr höre?«
»Weil wir nicht befreundet waren«, erwidere ich. »Überhaupt nicht. Sie war beliebt und ich ... na, du weißt schon.«
»Moment mal. Ich verstehe gar nichts mehr und
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