Die Fünf Tore 1 - Todeskreis
Ihr Name war Rosemary Green. Mallory las ihre Aussage zweimal, dann fuhr er mit dem Taxi nach Dulwich. Es war vier Uhr nachmittags. Er bezweifelte, dass sie zu Hause sein würde.
Doch er hatte Glück. Rosemary Green war Lehrerin, und sie kam genau in dem Moment nach Hause, als er aus dem Taxi stieg. Er unterhielt sich vor ihrem kleinen hübschen Haus mit dem gepflegten Garten mit ihr. Es war ein merkwürdiger Gedanke, dass Matthew Freeman einst in dem Garten nebenan gespielt hatte. Dies war eine ganz andere Welt als die in Ipswich, in die man ihn später hineingestoßen hatte.
Mrs Green hatte ihrer ursprünglichen Aussage nicht viel hinzuzufügen. Sie bestätigte, wie unglaubwürdig ihre Geschichte klang, versicherte ihm aber, dass es sich tatsächlich so zugetragen hatte. Sie hatte es damals so vor der Polizei ausgesagt, und sie stand noch heute, sechs Jahre später, dazu.
Auf der Zugfahrt zurück nach Ipswich hatte Mallory zwei Miniaturflaschen Whisky getrunken. Vor ihm lagen eine Kopie von Matthews Akte und die Spätausgabe des Evening Standard. Die Zeitung hatte dem Mann gehört, der ihm gegenübersaß. Mallory hatte sie ihm fast aus der Hand gerissen, als er die Story auf der Titelseite sah.
Ein bizarrer Selbstmord in Holborn. Ein zwanzigjähriger Krimineller namens Will Scott war tot aufgefunden worden. Todesursache war ein Messerstich ins Herz, den Scott sich laut Polizeiangaben selbst beigebracht hatte. Scott hatte ein langes Vorstrafenregister, überwiegend Raubüberfälle und Drogenhandel. Drei Zeugen hatten beobachtet, wie er eine ältere Frau verfolgte, die ein graues Kostüm und eine Brosche in Form einer Eidechse trug. Die Polizei bat die Frau, sich zu melden. Konnte das ein Zufall sein?
Mallory erinnerte sich gut an die Brosche, die Mrs Deverill getragen hatte. Sie war zu spät zu ihrem Termin gekommen, und sie hätte durchaus durch diese Gasse gegangen sein können. Er war sicher, dass sie die Frau war, die in dem Artikel erwähnt wurde, wenn er auch nicht wusste, was sie mit Will Scotts Tod zu tun haben sollte. Aber von diesem Moment an war Mallory beunruhigt gewesen. Er hatte immer öfter an Matthew gedacht und war zu der Überzeugung gekommen, dass er nicht in ihrer Obhut sein sollte.
Ein paar Tage später hatte er dann zufällig einen Funkspruch von einer Polizeistation in York mitgehört: etwas über einen Todesfall, den ein vierzehnjähriger Junge aus dem FED-Programm gemeldet hatte. Da hatte es Mallory gereicht. Er hatte Platz in seinem Terminkalender geschaffen und war nach Norden aufgebrochen.
Und jetzt, auf der Rückfahrt von Lesser Malling, war er froh, dass er hingefahren war. Was er gesehen hatte, war eine Schande. Der Junge sah krank aus. Vor allem aber wirkte er traumatisiert. Und auch die Striemen an seinem Arm hatte Mallory sofort entdeckt. Er würde dafür sorgen, dass das aufhörte. Er würde seinen Bericht gleich am nächsten Tag einreichen.
Mallory warf einen Blick auf den Tachometer. Er fuhr genau hundert Stundenkilometer. Er war auf die mittlere Spur übergewechselt, und rechts und links rasten Autos an ihm vorbei, die alle das Tempolimit überschritten. Er sah ihren verschwimmenden Rücklichtern nach. Es regnete wieder einmal, und feine Tropfen nahmen ihm die Sicht. Bildete er sich das ein, oder war es plötzlich wirklich eiskalt im Wagen? Er drehte die Heizung auf. Luft blies aus den Öffnungen im Armaturenbrett, aber wärmer wurde es trotzdem nicht. Er schaltete die Scheibenwischer auf eine schnellere Stufe. Die Straße vor ihm schimmerte vor Nässe.
Mallory warf einen Blick auf die Uhr. Es war halb zehn. Bis Ipswich hatte er noch mindestens zwei Stunden Fahrt vor sich. Es würde Mitternacht werden, bevor er heimkam. Er schaltete das Radio ein, um Nachrichten zu hören. Die Stimme würde ihn wachhalten.
Das Radio war auf einen Nachrichtensender eingestellt, aber es kamen keine Nachrichten. Anfangs dachte Mallory, das Radio wäre vielleicht kaputt … genau wie die Heizung. Es war wirklich eisig im Auto. Vielleicht war eine Sicherung durchgebrannt. Er würde das Auto in die Werkstatt bringen müssen, wenn er wieder zu Hause war. Aber dann funktionierte das Radio doch. Zuerst kam ein Knistern und dann noch etwas anderes.
Ein leises Flüstern.
Verblüfft streckte Mallory die Hand aus und drückte die Taste für den nächsten eingespeicherten Sender, einen, der nur klassische Musik spielte. Er mochte Klassik. Vielleicht gab es ein Konzert, das er sich anhören
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