Die Fünf Tore 1 - Todeskreis
FED-Komitee aufnehmen werde. Ich werde empfehlen, dass man Ihnen die Vormundschaft über Matthew mit sofortiger Wirkung entzieht.«
Mrs Deverills Gesicht wurde dunkel. Ihre Augen funkelten wie Rasierklingen. »Das würde ich an Ihrer Stelle lieber lassen.«
»Drohen Sie mir, Mrs Deverill?«
Einen langen Moment herrschte Schweigen.
»Nein. Warum sollte ich das tun? Ich bin eine gesetzestreue Bürgerin. Und wenn Sie meinen, dass es besser für Matthew ist, wenn man ihn in ein Jugendgefängnis steckt, ist das Ihre Sache. Trotzdem haben Sie hier nichts zu suchen, Mr Mallory, denn ich habe Sie nicht eingeladen. Geben Sie Ihren Bericht ab, wenn Sie unbedingt wollen. Aber ich schwöre Ihnen, dass Sie am Ende derjenige sein werden, der mit einem roten Kopf dasteht.«
Sie machte auf dem Absatz kehrt und verschwand im Haus. Matt sah ihr mit einem Gefühl der Erleichterung nach. Mallory hatte gewonnen. Jetzt konnte er tatsächlich darauf hoffen, dass seine Gefangenschaft auf der Farm bald ein Ende hatte.
Mallory beugte sich zu ihm. »Hör zu, Matt«, sagte er. »Wenn ich könnte, würde ich dich ins Auto setzen und mitnehmen – «
»Ich wünschte, das würden Sie«, unterbrach Matt.
»Es geht nicht. Ich habe kein Recht dazu, und es verstößt gegen das Gesetz. Mrs Deverill könnte behaupten, ich hätte dich entführt, und auf lange Sicht würde es wahrscheinlich mehr schaden als nützen. Gib mir vierundzwanzig Stunden, dann bin ich wieder da und hole dich aus diesem Dreckloch raus. Einverstanden?«
»Klar.« Matt nickte. »Danke.«
Mallory seufzte. »Wenn du die Wahrheit wissen willst, ich war immer gegen das FED-Programm«, sagte er. »Das ist nur Augenwischerei – ein weiterer Trick der Regierung. Im Grund wollen sie Kindern wie dir gar nicht helfen. Sie interessiert nur ihre Statistik. Es sieht nicht gut aus, wenn zu viele Jugendliche im Knast sitzen.« Er ging zu seinem Auto und öffnete die Tür. »Aber sobald ich meinen Bericht einreiche, müssen sie mir zuhören. Und was auch immer passiert, ich kann dir versprechen, dass Mrs Deverill nie wieder ein Pflegekind bekommt.«
Matt sah ihm nach, als er abfuhr. Dann drehte er sich um und sah das Farmhaus an. Mrs Deverill stand in der Tür. Sie hatte die Schürze abgenommen und war jetzt ganz in Schwarz gekleidet. Auch sie hatte den Detective abfahren sehen, doch sie sagte nichts. Sie trat zurück und verschwand im Haus. Die Tür schlug hinter ihr zu.
Es war dunkel, als Stephen Mallory die Autobahn erreichte. Tief in Gedanken versunken fuhr er in Richtung Ipswich.
Er hatte Matt nicht die ganze Wahrheit gesagt. Es hatte nie eine Konferenz in Harrogate gegeben.
Stephen Mallory war auf Jugendkriminalität spezialisiert. Er hatte viele jugendliche Straftäter gesehen, manche erst zehn oder elf Jahre alt, und wie viele von ihnen erschien ihm auch Matt eher als Opfer denn als Täter. Er hatte mit Kelvin gesprochen, der in Untersuchungshaft saß und auf seinen Prozess wartete. Er hatte auch Gwenda Davis und ihren Lebensgefährten Brian besucht. Er hatte alle Berichte über Matt gelesen. Trotzdem hatte er das Gefühl gehabt, dass etwas fehlte. Der Junge, den er kennengelernt hatte, war ganz anders gewesen als der, über den er gelesen hatte.
Und sofort, nachdem Matt Mrs Deverill übergeben worden war, hatte er beschlossen, die fehlenden Teile des Puzzles zu finden, zumal er ohnehin in London war. Es ging niemanden etwas an, wie er den Nachmittag verbrachte.
Er war mit dem Taxi in das Zentralarchiv der Polizei gefahren. Alles, was er suchte, steckte dort in einem Pappkarton, einem von mehreren Hundert, abgelegt unter einer Aktennummer und dem Namen Freeman, M. J. In dem Karton waren Ausschnitte aus der Lokalzeitung von Ipswich, Berichte sowohl der dortigen als auch der Londoner Polizei, die beiden Obduktionsberichte von Matts Eltern und die Beurteilung eines Psychologen, der zu diesem Fall hinzugezogen worden war. Die Geschichte war genauso abgelaufen, wie man es ihm erzählt hatte. Die Eltern waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Der achtjährige Junge war allein zurückgeblieben. Seine Tante in Ipswich hatte ihn bei sich aufgenommen. Das alles hatte Mallory schon gelesen. Aber dann war er ganz unten in dem Karton auf eine Zeugenaussage gestoßen, die er noch nicht kannte. Sie änderte alles.
Es war die unterschriebene Aussage der Frau, die im Nachbarhaus gewohnt hatte. Sie war diejenige, die auf Matthew aufgepasst hatte, als sich der Unfall ereignete.
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