Die fünfhundert Millionen der Begum
seines Geschosses übertrieben und er könne nicht die ganze Stadt mit unauslöschbarem Feuer überschütten, so ist doch kaum daran zu zweifeln, daß ein einziger Schuß einen großen Theil derselben in Asche legen werde! Es ist eine höllische Maschine, die er da erfunden hat, und diese fürchterliche Kanone wird ihr Geschoß, trotz der großen Entfernung zwischen beiden Städten, gewiß sicher nach seinem Ziele schleudern. Eine Anfangsgeschwindigkeit, welche die gewöhnliche um das Zwanzigfache übertrifft! So gegen zehntausend Meter, oder zweiundeinehalbe Stunde in der Secunde! Das ist fast der dritte Theil der Umdrehungs-Schnelligkeit der Erde am Aequator! Ist das wirklich möglich?…. Ja…. Ja!…. Wenn sein Geschütz nicht beim ersten Abfeuern zerspringt!…. Und das wird nicht geschehen, denn es besteht aus einem Metalle, dessen Widerstand gegen das Zerreißen fast unbegrenzt zu nennen ist! Dazu kennt er die Lage von France-Ville auf’s Haar! Ohne seine Höhle zu verlassen, wird er sein Rohr mit mathematischer Sicherheit richten und das Geschoß, wie er vorausgesagt, mitten in die unglückliche Stadt hineinfallen! Wie kann ich die armen Einwohner warnen?«
Marcel hatte, als der Tag wieder anbrach, kein Auge geschlossen. Er verließ also sein Bett, auf das er sich in seiner fieberhaften Schlaflosigkeit vergebens ausgestreckt hatte.
»Also erst in der folgenden Nacht, sagte er sich. Dieser Henker will mir die Todesqual ersparen und wartet bis mich vor Erschöpfung der Schlaf überwältigt hat! Und dann?…. Ja, welche Todesart mag er mir bestimmt haben? Denkt er mich durch Einathmung von Blausäure zu morden, während ich schlafe? Oder will er in mein Zimmer heimlich Kohlensäure einströmen lassen, über die er ja in beliebiger Menge verfügt? Sollte er dieses Gas nicht vielmehr in flüssigem Zustand verwenden, so wie er es in seinen Glasgeschossen verwendet hat, dessen plötzliche Verflüchtigung eine Kälte von nahe hundert Grad erzeugt? Am folgenden Morgen läge dann an meiner Stelle statt dieses kräftigen, wohlgebauten lebensvollen Körpers eine trockene, gefrorne verhornte Mumie!…. O, dieses Elend!…. Mein Herz möge vertrocknen, mein Leben bei jener unerträglichen Temperatur erstarren, wenn nur mein Freund, Doctor Sarrasin, seine Familie, Jeanne, meine liebe Jeanne gerettet würden! Um ihretwillen muß ich fliehen…. ich werde es also durchsetzen!«
Mit diesem letzten Worte hatte Marcel, obwohl er voraussetzen mußte, jetzt eingesperrt zu sein, die Hand unwillkürlich auf den Drücker des Thürchlosses gelegt.
Zu seinem größten Erstaunen öffnete sich die Thür, er konnte ganz wie früher in den Garten hinab spazieren gehen.
»Aha, sagte er, ich bin nur ein Gefangener in den Central-Anlagen, nicht in meinem Zimmer! Das ist schon etwas!«
Arminius und Sigimer erschienen. (S. 100.)
Kaum erschien Marcel freilich draußen, als er bemerkte, daß er trotz seiner scheinbaren Freiheit doch nicht zwei Schritte ohne die Aufsicht der beiden Männer machen könnte, welche ganz den historischen oder vielmehr vorhistorischen Namen Arminius und Sigimer entsprachen.
Marcel’s Aufmerksamkeit wurde durch einen Strauch erregt. (S. 106.)
Schon manchmal hatte er sich, wenn er jenen beim Promeniren begegnete, gefragt, was wohl das eigentliche Amt dieser beiden Kolosse in grauer Uniform mit dem Stierhalse, den herkulischen Muskeln und röthlichem Gesicht mit dichten grauen Schnurr-und Backenbärten sein möchte.
Jetzt kannte er dasselbe. Sie waren die ausführenden Organe für Herrn Schultze’s Machtsprüche und daneben seine persönliche Leibwache.
Die beiden Riesen behielten ihn stets im Gesicht, lagerten vor der Thür seines Zimmers und folgten ihm auf dem Fuße, wenn er in den Park hinaustrat. Eine reichliche Bewaffnung mit Revolvern und Dolchen sicherte den Erfolg ihrer Aufgabe noch weiter.
Uebrigens erschienen sie stumm wie die Fische. Marcel hatte wohl mehrmals versucht, eine Unterhaltung mit ihnen anzuknüpfen, aber keine andere Antwort als drohende Blicke erhalten. Selbst das Angebot eines Kruges Bier, das er alle Ursache hatte, für unwiderstehlich zu halten, erwies sich als fruchtlos. Nach fünfzehnstündiger Beobachtung hatte er nur eine Leidenschaft seiner Wächter erkannt, eine einzige, die Pfeife, die sie auf Tritt und Schritt rauchten, wenn sie ihm nachgingen. Konnte Marcel vielleicht diese eine Schwäche zu seinem Vortheil ausbeuten? Das wußte er für jetzt noch
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