Die fünfte Kirche
mittelalterlich, Gomer.
Ein
Paar. Ein heidnisches Paar – o. k., jung, streitlustig, aber trotzdem nur ein einzelnes Paar. Hier hat man ja den Eindruck, als ginge eine ansteckende Krankheit um, und wenn man eine Kerze ins Fenster stellt, heißt das, dort kann man beruhigt reingehen. Ist dieses Dorf … ich meine, ist es normalerweise … normal?»
«Is ’n Dorf wie jedes andere hier.» Er überlegte kurz. «Nee, stimmt nich. Ole Hindwell war immer ’n bisschen für sich. Gehört nich ganz ins Tal und nich ganz in ’n Forst. Hat schon bessre Zeiten gesehn, hatte ma ’ne Schule und ’n Schmied. Genau, wie’s mal ’ne Kirche hatte. Aber die Dörfer hier … manchmal wachsen sie eben, und dann wer’n sie wieder kleiner. Hab das nie unnormal gefunden.»
Ein großer, weißhaariger Mann, der etwas auf der Schulter trug, kam den Hügel herauf.
«Man sagt, er kann auch heilen», sagte Gomer.
«Ellis? Weil er am Ende des Gottesdienstes Hand auflegt?»
Beim Großen Bibelfest in Warwickshire waren nach dem Beten und Singen in Zungen ein paar Mitglieder der Gemeinschaft vorgetreten, deren Leiden und chronische Krankheiten sich angeblich durch den Energiefluss des Gottesdienstes spürbar gebessert hatten. Es war dieser Aspekt, an den Merrily am meisten hatte glauben wollen, aber sie befürchtete, dass die Schmerzen dieser Leute zurückkehrten, wenn sich die Euphorie gelegt hatte, und sie fand es furchtbar, wenn Menschen, die es nicht aus ihrem Rollstuhl schafften, gesagt wurde, dass ihr Glaube nicht stark genug war.
«Er geht wohl von Haus zu Haus. Und nich nur wegen normaler Krankheiten.»
«Kennen Sie einen bestimmten Fall?» Ihr fiel wieder ein, was die Männer bei dem Tee nach Minnies Beerdigung gesagt hatten.
«Die Polizei hat den Jungen mitgenommen, der hatte die ganze Tasche voll mit diesem verdammten Extasie. Dennis hat gesagt: ‹Das war’s, Junge, solange du unter meinem Dach wohnst, kannst du dir das verdammt nochmal abschminken. Und wir gehen zusammen zu dem verdammten Pfarrer …›»
Als der große Mann auf die Straße trat, konnte man sehen, dass das, was er auf der Schulter trug, eine große, graue Videokamera war. Er trat einen Schritt zurück und sah die abfallende Straße hinunter, auf der der Widerschein der flackernden Kerzen die einzige Bewegung war. Er stand breitbeinig da und nahm die stille Szene auf – wie ein Sheriff im Western, Sekunden, bevor die Türen auffliegen und alle um sich schießen.
Doch keine einzige Tür öffnete sich. Die Wolken hingen tief und schwer am Himmel, es gab kaum noch Helligkeit, das Wetter hob die Wirkung der Kerzen hervor. Der Kameramann machte ein paar Aufnahmen.
«Fernsehnachrichten», sagte Merrily. «Hier wird auch irgendwo ein Reporter sein. Ich sollte mich ihnen vorstellen.»
Gomer nickte in Richtung des Kameramanns. «Jedenfalls wissen wir jetzt, wieso kein Mensch vor die Tür geht. Will keiner im Fernsehn das mit den Kerzen erklärn.»
Selbst wenn sie’s könnten, dachte Merrily.
«Was wollnse jetzt machen, Frau Pfarrer?»
«Es ist zwar nicht das, was ich machen
will
», sagte Merrily, «aber ich muss mit Hochwürden Ellis reden. Wo wohnt er?»
Kurz hinter dem Pub standen nebeneinander acht Doppelhäuser.
«Hier ist es», sagte Gomer, als sie näher kamen.
Merrily parkte vor dem ersten Haus. Es waren ursprünglich gemeindeeigene Häuser gewesen, aber individualisierte Gartenzäune, doppelt verglaste Fenster und neue Haustüren deuteten darauf hin, dass die meisten von ihnen inzwischen verkauft worden waren.
Und überall standen Kerzen im Fenster.
Nur ein einziges Haus, ungefähr in der Mitte, hatte noch seine braune Standardtür und eine alte Gartentür, von der die Farbe abblätterte. Es sah als einziges noch nach einem gemeindeeigenen Haus aus. Abgesehen natürlich von dem goldfarben lackierten Holzkreuz, das an die Tür genagelt war.
Ein großer Jeep verstopfte die kurze Einfahrt. Ein Aufkleber über dem Namensschild an der Gartentür tat kund, dass Jesus das Licht sei. In dem einzigen Fenster im Erdgeschoss brannten zwei Bienenwachskerzen, auf Tellern, auf Bibeln.
Merrily hatte gehört, dass Ellis in einem gemeindeeigenen Haus wohnte, weil er zusammen mit seiner Kirche auch sein Pfarrhaus aufgegeben hatte. Die Kirche zahlte die Miete für diese bescheidene neue Behausung. Sie schadete Ellis’ Image bestimmt nicht, und das wusste er ganz genau.
Merrily spürte, wie die Wut in ihr aufstieg. Erst das Singen in Zungen,
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