Die fünfte Kirche
er sich nicht mal im Badezimmer, sondern an der Küchenspüle gewaschen – wenn er ausnahmsweise dran gedacht hat. Nicht gerade … ist was, Mrs. Thorogood?»
Betty schüttelte den Kopf. «Erzählen Sie weiter.»
«Na ja, ich nehme an, dass er sich diesen Raum ausgesucht hatte, weil es dort eingebaute Bücherregale gab. Er hatte vielleicht nicht viele Möbel, aber eine ganze Menge Bücher. Ich sehe mir die Bücherregale anderer Leuten immer an, und Terry hatte viele theologische Werke, aber auch einige eher …
esoterische
Titel. Wissen Sie, was für Bücher ich meine?»
«Okkultistische?»
«Na ja, das bedeutet ja nur ‹verborgen›. Terry hatte mit Sicherheit eine
verborgene
Seite. Er war sehr freundlich, nett zu alten Menschen, konnte gut mit Kindern umgehen, aber seine Predigten … ich glaube, dass sie den meisten Menschen zu hoch waren, mir manchmal auch. Es waren fast Meditationen – als würde er sich die Bedeutung einer bestimmten Bibelstelle erarbeiten. Als ich ihm von unserem Hund erzählt habe, schien er nicht im Geringstenüberrascht. Er hat mich gefragt, was ich über die Geschichte der Region weiß. Damals war das nicht viel, und das habe ich ihm auch gesagt. Er hat mich gefragt, ob ich etwas von den Drachenlegenden weiß.»
Betty räusperte sich. «Drachen.»
«Im Radnor Forest.»
«Und, wussten Sie was?»
«Nein. Es gibt fast nichts Volkskundliches über Radnor Forest. Das Einzige, was ich finden konnte, war … Warten Sie einen Moment.»
Mrs. Pottinger sprang auf, ihre Haare erhoben sich wie Flügel, ein ausgestreckter Finger bewegte sich vage wie eine Kompassnadel. «Ah!» Sie durchquerte den Raum und nahm ein grünes Buch vom Fensterbrett. «Sie bereichern wirklich meinen Vormittag, Mrs. Thorogood. So viele Menschen gibt es heutzutage ja nicht, die über solche Dinge diskutieren wollen, schon gar nicht mit einer schwatzhaften alten Frau.»
Sie legte das Buch vor Betty auf den Tisch. Es hieß
Ein walisischer Landpfarrer
und war von D. Parry-Jones. Es öffnete sich an einer oft gelesenen Stelle.
«Parry-Jones schreibt hier, dass ‹tief in der Festung› des Radnor Forest ein Drache gelebt habe. Und er verzeichnet ein Gespräch mit einem alten Mann, der den Drachen hat
atmen
hören. Das muss in den zwanziger oder dreißiger Jahren gewesen sein. Ist leider alles sehr skizzenhaft und klingt ziemlich zusammenphantasiert. Jedenfalls ist den Leuten, mit denen Terry jeden Tag zu tun hatte, sehr schnell klar geworden, dass er eine richtige
Besessenheit
entwickelte.»
Betty sah sie aufgewühlt an.
«Der Drache aus der Offenbarung ist ein Symbol des Bösen, er repräsentiert
den alten Feind
. Ich hatte den Eindruck, dass Terry dachte, er würde von Gott getestet – und sei deshalb nach OldHindwell geschickt worden, mit dem Drachen vor der Haustür. Eine göttliche Mission oder so. Engländer, die nach Wales kommen, haben manchmal wirklich komische Ideen.»
Mrs. Pottinger setzte ein überlegenes Lächeln auf, so als wären Schotten immun gegen solche Überreaktionen. Betty sah darüber hinweg und sagte: «Glaubte er, dass in Radnor Forest so etwas wie satanische Einflüsse am Werk waren? Ich meine, hat Hexerei oder Ähnliches hier eine Tradition?»
«Wenn ja, dann ist nichts darüber aufgeschrieben worden. Es gibt nichts über Hexenprozesse hier oder auf der anderen Seite der walisischen Grenze. Aber» – ein schmales, listiges Lächeln – «das heißt natürlich nicht, dass es so etwas nicht gegeben hat. Wahrscheinlich bedeutet es genau das Gegenteil. Vielleicht gehörte es so sehr zum alltäglichen Leben, war so tief verwurzelt in der ländlichen Psyche, dass der Versuch … unnütz gewesen wäre, es mitsamt der Wurzel auszureißen.»
«Und was ist mit Cascob?»
«Cascob? Oh, der Zauberspruch.» Mrs. Pottinger strahlte. «Ist das nicht eine wunderbare Mischung? Wissen Sie, dass einige Sätze aus den Schriften von John Dee entnommen worden sein sollen, dem elisabethanischen Magier, der nicht weit von Pilleth geboren wurde?»
«Wissen Sie irgendetwas über diese Frau, Elizabeth Loyd?»
«Ein armes Kind.»
«Könnte
sie
eine Hexe gewesen sein? Ich meine, die Formulierung dieses Exorzismus klingt, als hätten die Leute geglaubt, sie sei vom Teufel besessen. Damals nahm man ja oft an, dass die Frauen, die für Hexen gehalten wurden, Beziehungen … mit dem Teufel hatten.»
… manche Frauen hatten sogar damit geprahlt
, hatte Betty am Vortag gelesen.
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