Die fünfte Kirche
k., Gareth ist vielleicht ein dummes Arschloch, aber sie ist o. k., ganz anders, als ich dachte. Vielleicht haben wir uns getäuscht, und die Einheimischen sind gar nicht alle bigotte, reaktionäre Hinterwäldler. Alles wegen deiner beschissenen Kindheitserinnerungen.»
Betty regte sich nicht auf. Sie starrte ihn nur ein paar Sekunden lang direkt an, und er starrte zurück.
Und dann sagte sie: «Das hab ich nie gesagt. Ich bin sicher, da sind ein paar tolerante, bescheidene, kluge, weltoffene Leute dabei.» Sie ging zum Tisch, nahm ein weißes Blatt Papier und drückte es ihm in die Hand. «Zum Beispiel die Person, die das hier geschrieben hat.»
18
Kalt, diesseitig, vernünftig
Die Buchstaben
BFSG
waren immer noch an der Bürotür, aber sie hingen schief.
BFSG
wie Büro für spirituelle Grenzfragen – die Idee von Bischof Hunter. Seine Idee war es auch gewesen, Merrily Watkins zur Beraterin für spirituelle Grenzfragen zu machen. Sie stand auf den Steinstufen vor der geschlossenen Tür und beschloss, wieder nach Hause zu gehen. Sie hatte Kopfschmerzen. Was tatsie überhaupt hier? Als sie sich umdrehte, um die Treppe hinunterzugehen, öffnete sich die Bürotür.
«Ich
wusste
, dass Sie es sind!»
Merrily blieb stehen und drehte sich verlegen um.
«Ich wusste doch, dass das Ihr Auto ist.» Sophie trug einen lässigen, aber teuren blau-weißen Ski-Pullover. «Was um alles in der Welt machen Sie hier? Niemand rechnet damit, dass Sie heute ins Büro kommen.»
Sie hatte Sophie nur kurz angerufen, um sie zu bitten, den Bischof zu informieren.
«Merrily, Sie sehen …»
«Ja, ich weiß.»
«… erschöpft aus.»
Merrily hängte Janes Dufflecoat über die Rückenlehne ihres Stuhls und setzte sich. «Wenn ich
heute
nicht gekommen wäre, wäre ich wahrscheinlich nie wieder gekommen.»
Sophie machte Tee. Ab und zu blitzte die späte Morgensonne durch das Fenster des Torhauses. Der Wetterbericht hatte für heute Abend Schneeschauer vorhergesagt – immerhin mal etwas anderes als Nebel.
«Der Bischof hat versucht, Sie anzurufen.» Sophie stellte zwei Tassen mit Untertassen auf den Tisch. «Aber er meinte, falls ich Sie spreche, soll ich Ihnen ausrichten, dass Sie nicht zurückzurufen brauchen.»
«Nie mehr.»
«Seien Sie nicht dumm, Merrily. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, bin ich direkt froh, dass Sie gekommen sind. Hören Sie mir zu?»
«Ich höre.»
«Sie können nicht nach Worcester fahren.»
«Ich kann sehr wohl –»
«Werden Sie aber nicht.
Ich
fahre Sie hin. Lassen Sie Ihr Autohier. Und ich werde darüber nicht weiter diskutieren, verstanden?»
«Ich kann mich heute Nachmittag bestimmt ein bisschen ausruhen. Sie entlassen sie nicht vor fünf.»
«Sie sollte besser noch eine Nacht dortbleiben», sagte Sophie streng. «Man soll eine Gehirnerschütterung nie unterschätzen.»
«Ich kann ganz gut darauf verzichten, dass sie sich selbst entlässt und um Mitternacht durch Worcester irrt.»
«Ich hätte gedacht, sie wäre zu reumütig, um sich jetzt zu trauen –»
«Sophie» – Merrily stützte ihr Gesicht in die Hände und sah bedauernd auf –, «wir sprechen hier über Jane.»
«Wenn sie
meine
Tochter wäre …»
«Machen Sie sich nicht zu viele Sorgen.» Merrily ließ ihre Hände sinken und versuchte, nicht vor Erschöpfung und Angst zu weinen. Tief in ihr lauerte ein Schreck, den sie von Zeit zu Zeit spürte wie einen Puls, der ihr ganzes Nervensystem zum Rasen brachte.
«Das sind die Nachwirkungen des Schocks, Merrily.»
«Wenn Sie mir jetzt sagen, dass ich psychologische Beratung brauche, werfe ich diesen Computer aus dem Fenster.»
Sophie zog einen Stuhl heran und setzte sich Merrily gegenüber.
«Dann erzählen Sie es
mir
.»
Die Sonne war wieder verschwunden. Sophie tat zwei Stücke Zucker in Merrilys Tee und stellte den Anrufbeantworter an.
Sophie? Sophie in ihrem unglaublich teuren Pullover. Sophie, die der Kirche diente und allem, was sie repräsentierte? Ja, warum eigentlich nicht?
«Wenn man über diesen Job mal ernsthaft nachdenkt», sagte Merrily, «kann man wirklich glauben, dass man verrückt ist. Wenndie Grenze zwischen der Realität und dem … was immer da sonst noch sein mag, nicht mehr deutlich erkennbar ist, wenn da noch nicht mal mehr eine Grenze
ist
.»
Und wenn man im Nebel einem Lastwagen ausweicht, und auf der Straße wankt eine Gestalt herum, und du weißt, du fährst sie gleich um, und in letzter Sekunde siehst du ihr
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