Die fünfte Kirche
während der Nachtschicht in einer Fabrik aufzustellen. Natürlich hatte Jane versucht, ihnen das zu sagen, aber nein, sie hatten darauf bestanden, sie dazubehalten, falls sie einen Schädelbruch hatte oder so. Sie wusste genau, dass das nicht der Fall war, und die wussten es noch besser, aber die Vorschriften – gähn – sollten verhindern, dass irgendjemand das Gesundheitswesen auf eine halbe Million verklagte, nur weil sie im Bus ins Koma fiel.
Das Einzige, was man wirklich brauchte, war Schlaf. Und gut schlafen konnte man nur zu Hause. Schlaf war so entscheidend, weil er dem Körper und dem Gehirn Zeit gab, sich zu regenerieren, und weil er etwas Natürliches war. Und, in diesem Fall auch deshalb, weil er das unvermeidliche ernsthafte Gespräch mit Mom hinauszögerte.
Das ernsthafte Gespräch hatte nicht im Auto stattgefunden, wie Jane erwartet hatte, als sie gestern Abend auf dem Rückweg vom Krankenhaus waren. Weil sie mit Sophies Auto unterwegs waren, und Sophie schien sich – was Jane ein bisschen nervte – eher Sorgen um Mom zu machen. Mom war irgendwann auf dem Beifahrersitz eingeschlafen und dann mit einem solchen Ruck aufgewacht – mit einem geradezu erdbebenartigen Ruck –, dass Sophie vor Schreck wie wahnsinnig in die Bremsen gestiegen war. Mom hatte sich geschüttelt und gesagt – mit dieser nervösen, verlegenen Stimme, die sie immer hatte, wenn sie log –, sie müsse wohl etwas Schlechtes geträumt haben.
Und warum waren ihre Hände bandagiert, als wäre
sie
das Unfallopfer?
In die Dornen gefallen, war alles, was sie gesagt hatte, als sie endlich zu Hause angekommen waren, das musste so gegen zehn gewesen sein. Verwirrenderweise hatte sie Jane sehr lange umarmt, bevor sie beide in ihre Schlafzimmer gegangen waren, ohne das drohende ernsthafte Gespräch auch nur zu erwähnen.
Seltsam.
Jane hatte fast den ganzen Sonntagvormittag geschlafen und sich dann nach unten gewagt, um einen Happen zu essen – ein Stückchen Käse und ein paar Kekse –, während Mom ihren wöchentlichen Auftritt auf der Kanzel hatte. Sie hatte ihren Teller demonstrativ auf dem Abtropfständer stehenlassen, damit Mom sähe, dass sie was gegessen hatte, und nicht nach oben kam, um zu fragen oder das ernsthafte Gespräch anzufangen.
Sie erinnerte sich dunkel, dass Mom in ihrem Talar an ihrem Bett gestanden hatte wie ein Geist, aber sie musste wieder eingeschlafen sein, bevor sie miteinander gesprochen hatten. Im Halbschlaf hatte sie das Telefon klingeln hören. Ziemlich oft.
Ziemlich
oft. Hatte das mit dem Unfall zu tun? Oder mit
Livenight
– mussteMom sich jetzt bei der halben Kirche dafür entschuldigen, dass sie im Fernsehen versagt hatte?
Merrilys Mittagessen bestand am Sonntag nur aus einem gekochten Ei und einer Scheibe Toast. Was auch daran lag, dass das Telefon klingelte. Es war der Bischof. Die
Daily Mail
hatte ihn zu Hause angerufen. Ob er wisse, dass eine frühere Kirche seiner Diözese zu einem heidnischen Tempel geworden sei?
Tja, das wusste er allerdings. Wie jeder andere hatte auch er diese verdammte Sendung gesehen, allerdings hatte er gehofft, dass er entweder nie wieder davon hören würde oder sich herausstellen würde, dass die besagte Kirche auf der anderen Seite der Grenze stand.
Nicht, dass er so etwas zur
Mail
gesagt hätte. Der
Mail
hatte er gesagt, dass er «beunruhigt» sei und «Nachforschungen anstellen» wolle.
Und dies war eine davon.
«Wie es der Zufall will», sagte Merrily, «war ich gestern in Old Hindwell.»
Bernie Dunmore schwieg einige Sekunden lang.
«Das ist aber ein merkwürdiger Zufall», sagte er dann.
«Allerdings. Aber auch nicht mehr als das.»
«Haben Sie die Kirche gesehen?»
«Nur den Turm, hinter Bäumen. Ich habe keine Nackten gesehen, die um ein Feuer tanzen, und auch keine Gesänge gehört. Stimmt es denn wirklich? Wer sind diese Leute?»
«Hexen, offenbar. Die Leute heißen Thorogood, wenn das nicht paradox ist. Junges Paar, sind aus Shrewsbury hergezogen, er ist Amerikaner.»
«In manchen Teilen Amerikas sind Hexen heutzutage ziemlich angesehen.»
«Merrily, wir sind hier in Radnorshire.»
«Ja … stimmt.»
«Was die Kirche angeht – also, genau genommen ist es keine Kirche mehr. Es ist damals alles Nötige veranlasst worden. Die Gebeine wurden vom Friedhof an einen anderen geweihten Ort verlegt, der Besitz der Familie, der das Land rund um den Friedhof gehört, praktisch geschenkt. Und es wurde zur Auflage gemacht, dass die
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